Wieso schnelle Auslieferung wichtiger als hohe Qualität ist

Es gibt ja immer wieder Diskussionen hier im Forum über die Qualität der Autos von Tesla. Ich gehöre auch zu denjenigen Personen, die sich über die Ablieferungsqualität von Tesla wundern. Darum geht es mir in diesem Post aber nicht. Ich möchte vielmehr aufzeigen, was bei einem «Startup»-Unternehmen wie Tesla finanziell abläuft (obwohl Tesla schon seit 16 Jahren existiert ist es bezüglich Finanzen nach wie vor ein Startup-Unternehmen):

Ein Freund von mir hat vor mehreren Jahren eine (erfolgreiche) Firma gegründet, die Massanzüge erstellt und an den Mann bringt. Er kommt zu einem ins Büro oder nach Hause, nimmt Mass, fertigt den Anzug in Osteuropa (vorher Asien) und bringt ihn mir dann inkl. Anprobe und allfälligen Änderungen.

Finanziell läuft bei ihm folgendes ab: Bei meiner Bestellung des Anzuges muss er den Stoff kaufen. Und zwar nicht nur die paar Meter für meinen Anzug, sondern einen ganzen Ballen. Wenn es dumm läuft noch mit Vorauszahlung. Dann wird der Anzug produziert und er bekommt eine Rechnung von der Schneiderei. Rechnungstellung bei Lieferung. Dann wird der Anzug zu ihm verschickt, er kontrolliert ihn, bügelt ihn auf und macht einen Termin zur Anprobe mit mir ab. Je nachdem muss er nach der Anprobe noch ein paar Änderungen machen und kommt eine Woche später nochmals vorbei. Dann kommt die Rechnung an mich, die ich nach 30 Tagen bezahlen.

Ein Anzug kostet rund CHF 1 000 und er verkauft im Monat rund 200 Anzüge. Plus/minus hat er damit rund einen Monatsumsatz, also CHF 200 000 offen. Das Gemeine daran: Je erfolgreicher er ist, desto mehr Geld benötigt er! Würde er 300 Anzüge verkaufen, benötigt er mindestens CHF 300 000, die offen sind.

Tesla verkauft zwar keine Anzüge, ist finanziell aber in einer ziemlich vergleichbaren Situation. Wenn auch in einer komplett anderen Dimension.

Nehmen wir folgendes an:
1 000 Autos pro Tag (ist etwas optimistisch)
50 000 EUR pro Auto (Mix aus M3, S, X)
30 Tage Differenz zwischen dem Zeitpunkt, wann Tesla die Lieferantenrechnungen bezahlen muss und wann sie das Geld ihrer Kunden erhalten.

Bitte streitet mit mir nicht über die Zahlen. Ich habe kein Insiderwissen und die Zahlen sind teilweise sicher ziemlich falsch. Darum geht es mir aber gar nicht. Ich wollte nur mal aufzeigen, was finanziell bei einem Unternehmen wie Tesla (modellmässig) abläuft.

Pro Monat gibt das 1 000 Autos x 30 Tage x EUR 50 000 = EUR 1.5 Mrd, die als Kapital benötigt werden resp. die Tesla «vorstrecken» muss. Dabei ist alles andere wie die Entwicklung, der Aufbau des Supercharger-Netzwerkes, die neue Fabrik in China usw. nicht berücksichtigt.

Und wenn Tesla noch mehr Autos produziert und die Fabrik in China dann mal Autos rauslässt, vergrössert sicher obige Kapitalbedarf nochmals drastisch. D.h. je erfolgreicher, desto mehr Geld ist nötig.

Eine seit Jahrzehnten tätige Firma verfügt in der Regel über die Mittel, um so etwas finanzieren zu können. Bei einem «Startup» wie Tesla wird dies aber zum zentralen und kritischen Faktor.

Und nochmals: Die Zahlen stimmen sicher nicht genau so. Sie sollen aber mal eine Grössenordnung geben, von was wir hier sprechen.

Etwas kurzfristig gedacht oder?

Natürlich (resp. hoffentlich) verdient Tesla an ihren Autos aber mehr als sie reinstecken müssen. Ich bin mal von einer Marge von 10% ausgegangen (wieder völlig willkürlich) und habe das Ganze als einfaches Modell in Excel abgebildet:

Zuerst häufen sich die Verluste bis auf EUR 1.3 Mrd. um danach langsam weniger zu werden und irgendwann fallen dann mal Gewinne an.

In meinem Beispiel besteht nach 200 Tagen immer noch ein (kumulierter) Verlust von EUR 450 Mio.

Wenn ich anstatt 30 Tagen, 35 Tage in meinem Modell einsetze, dann liegt der Verlust nach 200 Tagen bei EUR 700 Mio.! Das heisst, dass jeder Tag, den Tesla auf sein Geld warten musst, eine enorme finanzielle Auswirkung hat.

Ich vermute schwer, dass die letztendlich der Treiber ist, wieso Tesla unter allen Umständen möglichst schnell alle Autos «raushaut» und keine Konzessionen bezüglich Zahlung (aber leider sehr wohl bezüglich Qualität) macht. Im Extremfall wäre dies der Tod von Tesla, wenn sie ihr Geld nicht genügend schnell erhalten.

Natürlich haben die Qualitätsprobleme irgendwann eine (negative) Auswirkung auf das Image und damit auf den Absatz der Autos von Tesla. In der jetzigen Phase ist dies aber (so brutal es tönen mag) völlig nebensächlich, da der Geldfluss stimmen muss. Alles andere wird dem wohl momentan untergeordnet.

In der nächsten Phase (wenn der Markt dann irgendwann mal von Teslas gesättigt ist), werden die Qualitätsproblem (egal, ob ihr denkt, dass sie echt sind oder nur von der Presse verbreitet werden) dann aber zu einem seriösen Problem von Tesla werden, da sie dann nicht mehr genügend Autos absetzen können.

Sorry für den sehr langen Post. Ich will damit auch nicht ein weiteres Mal die Diskussion um die Qualität der Autos anheizen, sondern nur meine Überlegungen zeigen, die bei einem Unternehmen in der Phase ablaufen, in der sich Tesla momentan gerade befindet.

Tesla zahlt auch nicht alle Rechnungen sofort. Der Trick ist es, Verträge so aufzusetzen, dass man zuerst das Geld vom Kunden hat bevor man die eigenen Rechnungen bezahlt.
30 Tage sind da nicht so schwierig als Zahlungsaufschub rauszuhandeln.

Unsere Verträge mit Industriefirmen haben meistens 60 Tage Zahlungsfrist. In Extremfällen sogar 90. Das Grundproblem bleibt aber und ich nehme nicht an, dass Tesla alle Lieferantenrechungen erst dann bezahlen kann, wenn sie das Geld von ihren Kunden erhalten haben. Nur schon auf den Schiff gehen rund 3 Wochen verloren und viel Material muss schon lange vor der eigentlichen Produktion eingekauft werden.

Es geht mir aber nicht um die konkreten Zahlen, sondern darum, aufzuzeigen, wieso die Zahlungsfrist im Fall Tesla so extrem wichtig ist.

Danke für den Gedankenanstoß, Elsi.

Da ist sicher einiges dran, zumal bei Tesla das extreme Wachstum zusätzlich zu berücksichtigen ist. Da laufen seit langer Zeit Gewinne zu 100% direkt in Investitionen. Für Tesla ist im Moment nichts wichtiger als den Marktanteil hochzutreiben, weil sie wissen dass ihnen die Konkurrenz im Nacken sitzt. Auch wenn die nach unserem Maßstab vielleicht weit hinterher hinkt, kann man die AUgen nicht davor verschließen, dass da einige brauchbare E-Autos auf den Markt kommen werden. Das weiß Tesla und daher ist es wichtig jetzt Vorsprung zu gewinnen. Das geht nur mit schnellem Wachstum und da ist der Ritt auf der Rasierklinge, den sie in Sachen Qualität und Service im Moment nehmen vermutlich nötig.

Ja, natürlich! Aber in der jetzigen Phase wohl gar nicht anders möglich.

Aber klar könnte man vieles besser machen und das nervt mich auch! Ich versuche, jeweils in System (oder am liebsten die ganze Welt… :wink: ) zu verstehen und mache mir jeweils Gedanken, wieso etwas so ist, wie es gerade ist und was wohl die Ursachen und Gründe dazu sind.

Ihr solltet vor dem Hintergrund der Diskussion über mögliche Qualitäts- und unübersehbare Organisationsmängel nicht auf die Idee kommen, dass Tesla ein Kleinunternehmen sei und durchgängig unprofessionell aufgestellt wäre. Das Unternehmen refinanziert sein Geschäft nicht nur auf Basis von Bank- und Lieferantenkrediten, sondern nimmt Teile seines Fremdkapital sogar am Kapitalmarkt auf (wenn auch zu grauenhaft üblen Konditionen). In Deutschland gibt es nur eine überschaubare Anzahl von Unternehmen, die dazu in der Lage wären.

Ich empfehle das Lesen diesen Artikels:
electrek.co/2019/08/16/tesla-so … el-system/

Man führt gerade ein neues Vertriebskonzept ein, in dem Solaranlagen auf US-Dächer geschraubt werden, die in 50 USD-Raten durch die Käufer abgestottert werden können. Das wird ohne gedeckte Refinanzierung nicht möglich sein. Da wird sich jemand in Kapitalmarktfragen schon ganz gut auskennen, auch wenn es nicht der oberste Boss sein dürfte.

@Elsi

wenn dein Freund Anzüge hergestellt hätte die nicht passen, zwicken und deren Stoff nicht 100% angefertigt sind, dann hätte der Freund niemals 1000 ChF verlangen können, sondern allenfalls ein Bruchteil und dein Freund wäre vermutlich hoch verschuldet pleite gegangen. :wink: :sunglasses:

Also hoffen wir, dass sich Tesla besinnt und schaut, dass der Stoff super ist und dass die Autos nirgends zwicken… :mrgreen:

Es wäre anders möglich. Z.B. hätte Tesla recht einfach Ende 2018 ankündigen können, dass sie ab nächstem Quartal damit aufhören, alle Auslieferungen rauszuhauen um die Quartalszahlen schön aussehen zu lassen und sich stattdessen auf Qualität fokussieren. In den USA letztes Jahr war es ja noch nachvollziehbar die Auslieferungen rauszuhauen um Förderung zu nutzen. In Europa waren diese Pushes aber nur noch um die Quartalsbilanz aufzuhübschen, das war nicht mehr im Kundeninteresse.
Dann würde die Bilanz evtl. etwas schlechter aussehen, langfristig ist Kundenzufriedenheit aber wichtiger als die Quartalsbilanz.

Vielleicht sind Aktionäre völlig emotionslos und wollen sofort Gewinne sehen. Damit muss man sich rumschlagen wenn man Geld/Liquidität benötigt. 10% Marge werden nicht ausreichen für Autohersteller und dann die ganze Lade-Infrastruktur ständig erweitern. Das Ladenetz muss sich auf Dauer selber finanzieren.

Muss man denn sein M3 nicht lange vor der Auslieferung bezahlen?

Sieben Tage laut Zahlungsbedingungen auf der Rechnung.

Und wie sieht die Realität aus? Viele Auslieferungstermine werden doch verschoben, oft auch mehrmals.

Ich verstehe nicht was das mit dem Thema zu tun hat. Zum Zeitpunkt der Auslieferung ist mein Fahrzeug wohl ca. einen Monat fertig. Bezahlt hab ich es am Ende vielleicht 2 Wochen vor Auslieferung, wie die Realität bei anderen aussieht weis sich nicht, aber da bei vielen noch Banken und Leasinggeber involviert sind wird das sehr variieren.

An der Grundthematik dürfte das nix ändern. Tesla versucht Autos so schnell wie möglich an den Mann zu bekommen um ihr Geld zu bekommen. Ob sie das ein paar Tage vor Abholung überwiesen bekommen oder nicht ist doch erstmal egal.

Wie schon im Eingangspost steht geht es da auch nicht um genaue Abfolge der Tage oder wie die genauen Zahlen in der Realität sind.

Na wie weiter oben aufgezeigt wurde haben schon ein paar Tage Verzögerung grosse Auswirkungen. Bei welchem Hersteller sonst kauft man ein Auto auf Vorkasse. Das wird schon seinen Grund haben.
Möglicherweise war das auch ein Grund für die NextMove Affäre. Aber das ist ein anderes Thema.

Das ist leider in der Auslieferungs-Realität nicht so. Da Tesla ihre Rechnungserstellung nicht im Griff hat (und die ist Grundvoraussetzung für eine Bezahlung!) kann ein Fahrzeug wochenlang (unbezahlt) im Auslieferungscenter stehen, NUR WEIL DIE NICHT WILLENS ODER IN DER LAGE SIND, EINE KORREKTE RECHNUNG AUSZUSTELLEN :imp:

Da macht mir niemand mehr weis, dass Tesla unbedingt auf mein (und anderer wartender Käufer) Geld angewiesen ist, denn das Problem der inkorrekten Rechnungserstellung (und dadurch auch stark verzögerter Bezahlung und Auslieferung!) besteht schon seit Monaten und wird scheinbar nicht besser :exclamation:

Hmm ich erinnere mich noch an die Formel Sg = Kg/M die das Gesetz der Massenproduktion beschreibt. Dank dieser Gesetzmaessigkeit lohnt sich ja die Massenproduktion letztendlich erst.

Es geht mir gar nicht um die Quartalszahlen und die Ankündigungen und Erwartungen, die Tesla bei seinen Investoren erfüllen muss (das kommt alles noch dazu!). Sondern, dass Tesla im Moment enorm viel Geld benötigt und je erfolgreicher sie sind und noch mehr Autos verkaufen, noch mehr Geld benötigen.

Und ja, das ist im Moment alles andere als im Kundeninteresse. Darum haben wir hier ja auch so viele entsprechende Statements (inkl. mir). Aber das ist im Moment weniger relevant. Aktuell muss das Geld so schnell wie möglich reinkommen.

Die schlechte Kundenzufriedenheit, die sich gerade aufbaut, wird dann das nächste Problem werden. Im Moment liegt aber der ganze Fokus auf dem Geld.

Vielen Dank. Du hast genau verstanden, was ich meine! Freut mich, dass ich es so rüberbringen konnte.