Es gibt ja schon ein paar Diskussionen zum Thema CCS…
- CCS soll bis 2018 CHAdeMO vollständig ersetzen…?
- Schnellladestation für entlang der A9 geplant
- BMW i3 inkompatibel
- Elektroauto-Fahrer brauchen keine öffentlichen Ladestationen
- Hubject hält Supercharger für unvereinbar mit EU-Richtlinien
- EU beschließt den Einheitsstecker
- Akku: i3 vs Tesla
-
Petition: Keine CCS-Ladesäulen aus Steuergeldern!
…aber ich möchte hier noch einen eigenen Thread aufmachen für die rein technische (nicht politische, wirtschaftliche oder sonstige) Betrachtung der beiden konkurrierenden Stecksysteme „Combined Charging System (CCS)“ vs. „Typ 2 in der Tesla-Implementierung“. Dabei können wir das AC-Laden außen vor lassen und dafür einfach auf den inzwischen verabschiedeten Standard IEC 62196-2 verweisen. Hier soll es dediziert um DC-Schnelladung gehen, und dafür wurde bislang noch kein Standard verabschiedet. Es ist also noch offen – und sehr spannend – welcher Stecker hier das Rennen machen wird.
Leider habe ich von E-Technik keine Ahnung, und daher wird sicher der eine oder andere hier aus dem Forum noch erhellende Anmerkungen machen können oder mich, wenn nötig, korrigieren.
Ich stehe im Kontakt mit einem Mitarbeiter eines mittelständischen Unternehmens, das auf Industriesteckvorrichtungen spezialisiert ist. Aus unseren Gesprächen haben sich einige spannende Beobachtungen ergeben, die ich gern zur Diskussion stellen möchte. Als erstes ist mal festzuhalten, dass die Profis bzgl. Teslas Supercharger-Konstruktion fast genauso im Dunkeln tappen, wie wir. Die wissen auch nicht, wie Tesla das genau macht, dass sie 135 kW über Typ 2 transportieren, und könnten das ohne genauere Unterlagen – die Tesla natürlich nicht rausgibt – wohl auch nicht einfach nachbauen. Man gibt das natürlich nicht gern offen zu, aber „einfach machen“ ist jedenfalls nicht drin: Man kann nicht den Typ 2-Stecker nehmen, wie er ist, und für DC-Schnelladung normieren.
A) Spezifikation
Die Unterschiede beginnen bei der Spezifikation: CCS ist vorgesehen für bis zu 170 kW (Dauerlast?), während Tesla nach unserer Kenntnis über ihre Variante des Typ 2-Steckers bis zu 135 kW (Spitzenlast) schickt. Ob dieser Unterschied in der Praxis relevant ist, könnte man in einem separaten Thread(!) sicher trefflich diskutieren, hier möchte ich gern erstmal die technischen Unterschiede und Probleme sauber herausarbeiten.
Die vorgeschlagene (und inzwischen zu Gunsten von CCS zurückgezogene) Spezifikation von Mennekes für DC-Mid sah für DC-Ladung über den Typ 2-Stecker bis zu 70 kW vor, also etwas mehr als die Hälfte dessen, was Tesla realisiert. Dieser Vorschlag von Mennekes bietet eine gute Diskussionsgrundlage, denn wir können davon ausgehen, dass 70 kW DC Dauerlast(!) für einen normkonformen Typ 2-Stecker unter Berücksichtigung aller erdenklichen Sicherheitsreserven verkraftbar sind:
EDIT: Diese Grafik wird unter anderem in einer Medieninformation von MENNEKES aus dem September 2011 verwendet, in der die verschiedenen Modi noch genauer erläutert werden:
MENNEKES_Medieninformation_-_Ladesteckvorrichtungen_Typ_2_für_AC_und_DC_Ladung_02.pdf (372 KB)
Es stellen sich nun zwei Fragen: Welche technischen Probleme löst der CCS-Stecker? Und an welchen Schrauben hat Tesla gedreht, um durch die Typ 2-Steckergeometrie bis zu 135 kW zu schicken?
B) Umschaltung
Man kann festhalten, dass CCS dedizierte Steckkontakte für AC- vs. DC-Laden vorsieht. Das bedeutet, dass fahrzeugseitig alles hart verdrahtet sein kann – die AC-Kontakte führen in den Onboard-Charger und die DC-Kontakte direkt in die Batterie. Will man wie Tesla oder wie in DC-Mid vorgeschlagen dieselben Kontakte sowohl für DC- als auch für AC-Laden nutzen, dann erfordert das eine fahrzeugseitige Umschaltung zwischen den Modi, d.h. es muss Kommunikation stattfinden und es muss ein Bauteil (Schütz) vorhanden sein, um die Umstellung durchzuführen. Die ganze Konstruktion muss dabei sicher und fehlertolerant ausgelegt sein. Niemals darf AC-Ladung direkt an die Batterie durchgeschaltet werden oder DC-Ladung an die Onboard-Charger geschickt werden. Das bedeutet zusätzliches Gewicht, Komplexität, Kosten und Fehlerquellen.
C) Verriegelung
Soweit ich gehört habe (falls jemand Quellen dazu hat, bitte her damit!) hält die Verriegelung des Typ 2-Steckers laut Norm 200 Nm und die Verriegelung des CCS-Steckers 750 Nm Zugkraft aus. Warum ist das wichtig? Der Lichtbogen, der entsteht, wenn man einen Stecker unter 135 kW Last zieht, ist gewaltig. Natürlich gibt es weitere Sicherheitsmaßnahmen, wie den Pilotkontakt – wenn der abreißt, sollte der Strom „sofort“ abgeschaltet werden. Wenn man allerdings über eine Norm für den täglichen Gebrauch durch Dummuser spricht, muss man bei den Gefahren, die von so hohen Strömen ausgehen, mehrfach redundante Sicherheitsmaßnahmen einbauen.
Man darf wohl annehmen, dass auch Tesla hier mehrfach redundante Sicherheit eingebaut hat, denn ein Unfall in diesem Zusammenhang würde nicht nur in USA horrende Schadenersatzforderungen nach sich ziehen, sondern würde Teslas Image potentiell irreparabel beschädigen, mit anderen Worten, sie könnten einpacken. Interessante Frage, die wahrscheinlich keiner von uns durch Ausprobieren beantworten möchte: Welche Zugkraft hält die Verriegelung der Supercharger, und wie schnell reagiert der Notaus-Schalter, wenn der Pilotkontakt abreißt?
D) Thermische Belastung
Ein großes Problem bei so hohen DC-Strömen ist die thermische Belastung der Steckverbindung. Dieses Problem löst der CCS-Stecker durch entsprechend dicke Kontakte. Wie löst Tesla das im Typ 2-Stecker? Hier einige Überlegungen:
- Sicher werden für + und - je zwei Pins zusammengeschaltet, wie bei DC-Mid. Das ist allerdings bei den gegebenen Strömen nicht so unproblematisch, wie es sich in der Theorie anhört: Wenn die Widerstände auf beiden Leitungen nicht exakt gleich sind, wird eine Leitung sofort überlastet („raucht ab“, „schmilzt weg“). Alleine diesen „Trick“ so zu implementieren, dass er auch sicher funktioniert, ist eine bemerkenswerte Leistung.
- Es scheint eine technische Notwendigkeit zu sein, dass Tesla Kontaktstifte verwendet, die mehr Kontaktfläche realisieren, als ein normkonformer Typ 2-Stecker. Es scheint leicht vorstellbar, dass die Kontaktstifte länger sind als im Typ 2-Standard, so dass der Chargeport trotzdem mit dem Typ 2-Standard „abwärtskompatibel“ ist. Es gibt sogar Berichte, nach denen die Stifte bei Tesla dicker sind als in einem normalen Typ 2-Stecker, allerdings ist mir auf einer ganz grundlegenden geometrischen Ebene nicht klar, wie das standardkonform funktionieren soll.
EDIT: Die Kontakte scheinen geometrisch absolut identisch mit einem ganz normalen Typ 2-Stecker zu sein:
Nutzung von RWE Ladesäulen - Allem Anschein nach nutzt Tesla die dicken Kupferleitungen an den Superchargern nicht nur, um den Strom zu leiten, sondern auch, um in der anderen Richtung die Wärme vom Stecker abzuleiten. Das erklärt, warum die Kabel im Verhältnis zum Stecker gar so dick sind. Eine elegante Lösung, allerdings ist noch unklar, wie effektiv diese „Steckerkühlung“ tatsächlich ist.
- Auch der Supercharger lädt ja bekanntermaßen nicht mit 135 kW Dauerlast. Nach den uns bekannten Daten (siehe Ladeverhalten am Supercharger) liegen die Ströme den meisten Teil der Ladezeit im Bereich von DC-Mid (bis zu 70 kW) und sind insofern unbedenklich/„kein Hexenwerk“. Die Lastspitzen, die deutlich über DC-Mid hinausgehen, liegen nur für wenige Minuten an. Man darf annehmen, dass das Ladeverhalten der Batterie in diesem Punkt der Steckverbindung entgegen kommt. Vermutlich hätte auch Tesla Probleme, über ihren Stecker 135 kW Dauerlast zu übertragen. Glücklicherweise ist das aber gar nicht notwendig, so dass die Lösung von Tesla eine sehr elegante Lösung für ein sehr spezielles Problem ist.
E) Luft-Kriechstrecken und Isolierung
Grundsätzlich hat Strom ja kein Problem damit, eine (zu dünne) Isolierung zu überwinden. Je höher die Ströme, desto höher die Anforderungen an die Isolierung bzw. den Abstand zwischen den Polen – sonst: Kurzschluss, Lichtbogen. So elegant die kompakte Konstruktion des Typ 2-Steckers ist, so eng sind wohl schon rein theoretisch die Toleranzen für die Isolierung der Pole zueinander. Dickere Kontaktstifte (siehe D) würden das Problem sogar noch verschärfen. Es ist unklar, wie Tesla auf so engem Bauraum die Pole ausreichend voneinander trennt, damit die hohen Ströme unter allen Umständen brav in den ihnen zugeteilten Kontakten bleiben. Der CCS-Stecker hat dieses Problem nicht in der Schärfe, er nimmt sich einfach den Platz, den er braucht.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten, das Tesla eine bemerkenswerte Ingenieursleistung vollbracht hat, und dass die Alltagstauglichkeit und die Sicherheit der Konstruktion bei den gegebenen Strömen aus der Steckergeometrie nicht trivial abzuleiten ist. Es ist schon noch ein bisschen „Magic Sauce“ dabei… Einerseits gebührt Tesla Respekt für diese Leistung, andererseits bleibt uns im Moment nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass ausreichend Sicherheitsreserven eingebaut sind. Ich denke, wir können davon ausgehen, dass der Stecker sicher ist – denn wäre er es nicht, wäre der Fortbestand der Firma und der Fortschritt der Elektromobilität insgesamt extrem gefährdet, und das wird man bei Tesla nicht riskieren. Schließlich muss man wohl (leider) auch anerkennen, dass die Konstruktion nicht offensichtlich zur Normierung geeignet ist, sondern eher den Anschein einer pfiffigen Speziallösung erweckt.