Lügenmärchen

Hallo Forum,zu

lasst mich berichten, was mir neulich widerfahren ist. Zur besseren Übersicht meiner Erlebnisse habe ich das Ganze in zwei Teile gegliedert:

Teil 1

Ich hatte beschlossen, mich aus der beschaulichen Provinz in die grosse Metropole am Main zu begeben. Um solcherlei bewerkstelligen zu können, habe ich eine interessante Apparatur in meiner Garage geparkt, die ohne Zutun von menschlicher oder tierischer Muskelkraft, sich von alleine fortbewegen kann. Man nennt das denn auch logischerweise Automobil. Wobei das mit dem Wortteil Auto nicht allzu wörtlich zu nehmen ist, denn es bedarf schon allerlei Handgriffe des Benutzers um die Maschine in Gang zu setzen. Nachdem ich also Platz genommen habe, schliesse ich zunächst einen Stromkreis um einen Elektromotor in Gang zu setzen. Dieser Motor bewegt nun nicht etwas das Automobil, sondern wird benötigt, um die eigentliche Antriebseinheit in Gang zu setzen, die das nicht von alleine vermag. Der Antrieb selbst besteht aus einem über 200kg schweren Aluklotz, in dem sich 53 (in Worten dreiiundfünfzig!!!) bewegte Teile befinden. Dazu kommen noch 32 Stahlfedern. Der Herrsteller nennt das stolz V8-32V. All die Mechanik dient dazu, die Energie expandierender Gase in eine Rotationsbewegung umzuwandeln. Damit das funktioniert sind drei Flüssigkeitskreisläufe nötig, die das Ganze am Leben halten. Ein Kreislauf (ist glaub ich mit giftigem Glykol gefüllt das keinesfalls ins Grundwasser gelangen sollte) kühlt die Maschine, da im Betrieb leider sehr viel überschüssige Wärme produziert wird. Ein Kreislauf sorgt für die Schmierung (ist mit einem Schmierstoff gefüllt der keinesfalls ins Grundwasser gelangen sollte) und für wirklich wenig Verschleiss; ich bin damit schon über 400.000km gefahren. Ein dritter Kreislauf schliesslich dient der Energiezufuhr. Er pumpt aus einem Tank den nötigen Kraftstoff (ein Erdöldestillat, das keinesfallls ins Grund… Ihr wisst schon), und was nicht benötigt wird fliesst wieder in den Tank zurück. Es gibt noch viele weitere wichtige Aggregate wie eine Zündung, Abgasaufbereitung etc, aber das würde hier zu weit führen und ist so kompliziert, dass mir das eh kein Mensch glaubt.

Nun, da ich die Maschine in Betrieb genommen habe möchte ich mich damit natürlich auch fortbewegen. Dafür habe ich 5 Zahnradkombinationen für die Vorwärtsfahrt und eine für Rückwärts zur Auswahl. Da ich nach vorne möchte wähle ich Kombination Nummer eins an einem Hebel. Das kann ich nur, indem ich vorher mit dem linken Fuss eine Reibkupplung löse. Nun muss ich mich konzentrieren. Mein Auto steht auf einer leichten Schräge mit der Front bergwärts, Jetzt darf ich keinesfalls einfach die Parkbremse lösen , denn dann rollt die Fuhre rückwärts. Also erst mit dem rechten Fuss auf das Bremspedal treten . Jetzt gilt es, mit meinen zwei Füssen drei Pedale (kein Scherz) koordiniert so zu bedienen, dass ich vorwärts fahre. Ich nehme den rechten Fuss vom Bremspedal und bringe blitzschnell mit dem Gaspedal die Antriebseinheit auf höhere Drehzahl. Gleichzeit muss die Kupplung gefühlvoll geschlossen werden, damit einerseits das Auto nicht rückwärts rollt, andererseits durch zu schnellen Kraftschluss aber auch nicht der Motor stehenbleibt. Nun ist das Schwierigste geschafft. Da der Motor nur in einem sehr kleinen Drehzahlband nutzbar ist muss man lediglich ab und zu die Zahnradpaarung anpassen. Um unnötige Arbeit zu vermeiden kann man ab einer Geschwindigkeit von etwa 15km/h Nummer drei wählen und Nummer 5 ist dann gut für alle Geschwindigkeitn zwischen 50 und 250 km/h. Warum es daher 5 Übersetzungen zur Auswahl gibt kann ich Euch leider nicht sagen.

Da mein Kraftstofftank fast leer ist fahre ich zu einer Auffüllstation. Dort hänge ich einen Schlauch mit einer sogenannten Zapfpistole in die Nachfüllöffnung. Da das Rohr von der Öffnung zum Tank wohl etwas eng ist, muss ich neben der Zapfpistole stehenbleiben und sie immer wieder anschalten. Da das System nicht luftdicht schliesst, atme ich dabei leider verdunstenden Kraftstoff ein, was nach Ansicht mancher Zeitgenossen krabserregend ist. Ich zahle 120 Euros was mich etwas 800 km weit bringt.

Nun geht die grosse Fahrt los. Damit sie kurzweilig verläuft hat mein Automobil allerlei Einbauten um mich einerseits zu unterhalten und andererseits den Aufenthalt im Innern bequem zu gestalten. Es gibt vielfältige Klimatisierungsmöglichkeiten, es lassen sich allerlei Audioquellen auswählen die Sitze verstellen sich auf Knopfdruck und und und… Um dies alles zu bedienen, sind in meiner Reichweite 91 (in Worten einundneunzig) Taster, Schalter und Drehregler angeordnet (@ Moderator: Bitte diesen Beitrag nicht wegen Verbreitung groben Unfugs löschen. All dies ist wirklich so). Es ist also sinnvoll, sich vor der ersten Fahrt gründlich mit den Systemen vertraut zu machem, zumal die meisten Tasten gar nicht oder nur mit irgendwelchen Pfeilen oder + - Symbolen beschriftet sind.

Aber ich habe Euch ja noch gar nicht gesagt, warum ich mich überhaupt auf den Weg gemacht habe. Ich habe mir nämlich eine neue selbstfahrende Maschine bestellt und das führt uns zu Teil zwei meiner Geschichte:

Teil 2

Ich steige in mein neues Automobil, wähle die Fahrtrichrtung vor und regle mit einem Fusspedal die Geschwindigkeit. Der Antrieb besteht aus einem Elektromotor und sonst nichts. Alle Komfortfunktionen bediene ich intuitiv über einen grossen Touchscreen. Den Kraftstoff, in Form von Strom, kann ich immer kostenlos laden.

So das waren meine Erlebnisse. Nun höre ich Euch natürlich aufschreien, dass all dies nur meiner Fantasie entsprungen sein kann. Im Teil 1 etwa würde es kein Hersteller wagen, seine zweifüssigen Kunden mit drei Pedalen zu konfrontieren oder Ihnen zumuten, die Bedeutung von 91 Bedienelementen auswendig zu lernen. Ausserdem kann eine Antriebsmaschine mit sovielen bewegten Teilen niemals über soviele Kilometer funktionieren. Auch Eurem Einwand, dass Teil 2 ja viel zu kurz ist, und beim heutigen Stand der Technik niemand ein Automobil bauen könnte, das so einfach zu bedienen ist muss ich mich beugen. Niemals würde ausserdem jemand Energie verschenken. Also ich gebe es zu, das Ganze ist eine Lügengeschichte entsprungen einer vorweihnachtlichen Träumerei.

Viele Grüsse Andi.

4 „Gefällt mir“
  • 100 :smiley:

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Herrlich. Danke. [emoji2]

LG, AndiJM

Einfach nur herrlich :slight_smile: Frohe Weihnachten!

:smiley:
Kann ich der Geschichte entnehmen, dass du deinen MS am 23.12. übernommen hast ? Nur für die Lieferstatistik hier im Forum :wink:

:smiley: Sehr schön…ich habe mir nach unserem letzte Ausflug auch gedacht, zukünftige Fahrschüler haben es bald leichter. Diese ganzen antrainierten Abläufe sind ein Schwachsinn, da hätte man auch bisher schon etliches besser machen können. Ich hatte auch mehrmals Automatik in meinem Fahrleben, aber wie einfach es sein kann, sieht man erst am Tesla.

@measureman
am 22. :slight_smile: :slight_smile: :slight_smile:

Sehr geil, treffend beschrieben! :slight_smile:))

+1000

Hatten wir so etwas nicht schon einmal? :slight_smile: vgl.Versuch einer objektiven Kaufentscheidung

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Sehr schönes (wahres) Weihnachtsmärchen.

Hammer…und so was von den Nagel auf den Kopf getroffen ! :slight_smile:

Genial!

Hallo Dazzler,

in der Tat, da hätte ich mal besser meinen Mund gehalten. Der Link ist super formuliert. Aber die Euphorie der ersten Stunden… :stuck_out_tongue: :stuck_out_tongue: :stuck_out_tongue:

… bloß nicht den Mund halten! Es hat mich und viele andere gefreut auch mal wieder eine „Generalabrechnung“ zu lesen.

Schön beschrieben :slight_smile:
Wünsche euch allen Frohe Weihnachten :smiley:

+100
ich übersetze gerade ins kroatische (hoffe du hast nichts dagegen) um morgen beim Weihnachtsempfang zu erklären warum ich so ein ‚komisches Auto ohne richtigen Motor‘ fahre.

Das ist doch kein Weihnachtsmärchen, sondern ein Weihnachtswahrchen :wink: und ein so schönes noch dazu

Eine hervorragende Selbstbildstudie, die dem neutral Außenstehenden doch so manches besser verstehen lässt.

Danke und Frhes Fest

Super geschrieben!
3 Pedale und 2 Füße…

Frohe Weihnachten :slight_smile: