Hallo zusammen,
ich bin jetzt hier in diesem sehr interessanten und auch stilvollen Forum seit vier Wochen lesend und ab und zu mal schreibend unterwegs. Ausführlich Model S gefahren bin ich auch schon, insofern traue ich mir durchaus eine Meinung zu.
Im Flieger war nun etwas Zeit, meine Tesla-Erfahrung mit dem Fahrzeug selbst und auch die Eindrücke hier im Forum etwas Revue passieren zu lassen. Dabei sind mir einige Dinge aufgefallen, die meiner Meinung nach den Einen oder Anderen interessieren oder sogar ein wenig nachdenklich stimmen könnten. Wem es zu lang (passt aber gut in eine SC-Ladezwangspause) oder zu wenig Tesla-enthusiastisch oder grün ist… einfach hier zu Lesen aufhören und die Ignore-Funktion nutzen.
Vorneweg, ich bin selbst ein early adopter für alle möglichen Dinge… als ich z.B. Anfang der 90er meinen ersten Media-PC gebaut und ins Wohnzimmer integriert hatte, waren meine Kumpels noch damit beschäftigt, ihren S-VHS-Recorder das erste Mal mit dem Röhrenfernseher zu koppeln. Ich hatte dafür den Stress der Partnerin zu ertragen, weil das Ding unter Windows 95 mit der ganzen exotischen Peripherie öfter hakte als ging – heute natürlich kein Thema mehr.
Insofern bin ich auch durchaus leidensfähig, die vielen Schwächen und Ungereimtheiten des Tesla Model S zu akzeptieren. Es ist einfach ein cooles Konzept und ich werde mir sehr bald einen kaufen. Ich habe auch sofort nach der Probefahrt mein Depot mit Tesla-Aktien bestückt. Wenn der Browser im Tesla die Umlaute für mein online brokerage-Passwort gekonnt hätte, dann wahrscheinlich noch direkt während der Probefahrt;-)
Trotzdem finde ich es grenzwertig, mit welcher teilweise naiven Verklärtheit hier Tesla und das Model S zum alleinseligmachenden Mobilitätskonzept und Fortbewegungsmittel hochstilisiert werden.
Ähnlich ergeht es mir mit den Lobpreisungen für Elon Musk. Zweifellos ein Visionär, der mit seiner zwingend disruptiven Umsetzung der Elektromobilität einschließlich dem im Preis enthaltenen Strom momentan die etablierten Industrieunternehmen diverser Branchen (Automobilhersteller, Zulieferer, Öl- und Energiekonzerne) vor sich her treibt. Aber hier wird er teilweise dargestellt wie der Messias persönlich – spätestens jetzt wird auch klar, wie der Titel des Threads gemeint war.
Kommen wir mal zu den Fakten bezüglich des Model S und dem Stand der Elektromobilität allgemein, wobei Ihr durchaus das eine oder andere Augezwinkern durchscheinen sehen könnt, wenn ihr genau hinguckt.
Das Model S ist momentan zweifellos das mit den wenigsten Einschränkungen behaftete reine Elektroauto, es hat atemberaubende Beschleunigungsfahrleistungen und eine fast praxistaugliche Reichweite - wenn es dann mal eine ausreichende Infrastruktur gibt.
Damit sind wir schon beim ersten Punkt – Praxistauglichkeit im Alltag.
Momentan – und auch noch in 6 - 12 Monaten – sind wir noch meilenweit entfernt von einer vernünftigen Lade- oder gar Change-Infrastruktur (mit n, nicht mit r) und wenn ich mir die Horrorstories hier anschaue, wie sich Tesla-Fahrer quasi wie Stromjunkies auf abenteuerlichen Wegen, mit vorausgeschickten Typ2-Scouts am Zielort etc. ihren nächsten kWh-Schuss besorgen müssen – mit Automobilalltag hat das nichts zu tun und jeder, der das Auto zwingend geschäftlich überregional nutzen muss, wendet sich mit Grausen ab.
Stundenlange Zwangspausen, Umwege, komplizierte Reiseplanung… klar kann man sich alles Schönreden… tolle Abenteuer abseits der Hauptrouten, nette Gleichgesinnte beim Laden treffen, endlich mal Zeit für gute Gespräche, bis die nächsten 100 km an der 11kw-Steckdose beim Bauern Harms auf dem Schweinehof wieder reingetröpfelt sind… Mit professionellen und effizienten Geschäftsreisen hat das nicht das Geringste zu tun und wenn einer meiner Mitarbeiter zum jetzigen Zeitpunkt auf ein E-Auto besteht und ich merke, dass diese Auswirkungen seine Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit oder seine Performance negativ beeinflussen, dann möchte ich nicht in seiner Haut stecken.
Für mich persönlich passt das Model S interessanterweise trotzdem einigermaßen, denn ich muss nur Kunden und Partner im Umkreis von ca. 200 km mit dem Auto erreichen und die SCs Rappenau bzw. Jettingen decken dann den Rückweg nach Stuttgart ab. Die Bodenseeautobahn für meine Zürich-Besuche ist leider noch ein Schwachpunkt, hoffentlich kommt da bald was. Längere Strecken (v.A. Rheinland) gehen besser mit dem ICE und Hamburg/Hannover/Berlin sowie Ausland wird eh geflogen. In den Urlaub fahre ich ggfs. mit einem wunderschönen Verbrenner-Cabrio (Audi S5) mit AHK, damit ich zur Not auch die Fahrräder mitnehmen kann. Sieht aber eindeutig so aus, dass mein Fahrprofil ungewöhnlich gut zum Model S passt… keine Langstrecken, keine Urlaubfahrten und nicht nur reine Stadtfahrten, denn bei letzterem wäre der i3 sehr viel geeigneter als das Model S.
Ok, kommen wir zum Punkt Positionierung:
Das Model S wird gerne als Oberklasse-Fahrzeug eingestuft und mit solchen verglichen. Preislich mag das ja hinkommen, aber inhaltlich leider keineswegs. Als Käufer eines Oberklasse-Fahrzeugs erwarte ich mindestens eine geeignete Auswahl an Vordersitzvarianten und Rücksitzen, inklusive der Option auf ca. 12-fache Verstellmöglichkeit aller einzelnen Sitzteile, Massagefunktion und aktive Sitzkühlung. Das Gestühl des MS ist höchstens untere Mittelklasse und das Fehlen jeglicher Alternativen ist geradezu peinlich. Ist mir auch völlig unverständlich, warum das so ist. Das Thema kann man doch komplett an Zulieferer verlagern, da muss sich doch Tesla mangels Kapazität nicht selbst drum kümmern …
Auf der Rückbank sieht‘s noch düsterer aus – Fußraum für 2m-Riesen, aber Kopfraum nur bis max 1,80m. Kopfstützen, die alles stützen, nur nicht den Kopf, nichts davon verstellbar, keine Einzelsitzanlage lieferbar, keine Mittelarmlehne… das alles hat mein A7 serienmäßig und der zählt offiziell nur als obere Mittelklasse. Die Chauffeurstauglichkeit des MS ist daher selbstredend auch bei unter Null. Welcher Topmanager oder Politiker möchte hinten allein auf einer 3-Personen-Sitzbank rumkugeln und dabei dauernd noch den Hinterkopf einziehen? Und welcher wilde Affe die Innenraumdesigner gebissen hat, die Kleiderhaken wegzulassen, das erschließt sich mir nicht mal im Vollrausch. Cool und innovativ heißt doch nicht, alles erwiesenermaßen Nützliche einfach wegzulassen! Selbst ein Dacia Logan hat dieses Feature und jeder, der ab und zu ein Jackett trägt (Zielgruppe des MS bei dem Preis???), weiß das zu schätzen.
Ähnliche Schwachstellen sehe ich auch in den technischen Ausstattungsoptionen… Selbst die Mittelklasse etablierter Hersteller bietet inzwischen automatische Kollisionsprävention, Tempomat mit Abstandsradar, aktive Spurhalteassistenten, Head-up-Display etc. etc. Übrigens alles Features, die sich mangels Sensorik nicht einfach per Softwareupdate nachbesseren lassen. Ich finde es auch etwas zu durchsichtig, wenn einige hier im Forum immer alle Features, die der Tesla nicht hat, als unnötigen Mumpitz bezeichnen und alle Features, die er zufällig hat, als absolut essentiell und bei Tesla natürlich dazu noch besonders gut implementiert.
Was wiederum eine gute Überleitung zum ‚outstanding‘ Navi-System ist:
Hier gilt definitiv nicht, dass ‚size matters‘. Der Nutzwert wird nicht dadurch höher, dass ein absolut unfähiges und total verpeiltes Navi-System einen hochkant gestellten 17“-Monitor zur Anzeige nutzen kann. Wie komme ich auf total verpeilt? Ganz einfach: Keine Alternativroutenberechnung am Anfang, keine Ausweichberechnung bei Staus unterwegs, keine Berechnungsoptionen (Maut, Fähre, Landstrasse, …), keine Sonderzielsuche an der Strecke… ok, letzteres bringt eh nicht viel, denn die paar SCs liegen eh selten an meiner Strecke… aber wenn es mal mehr SCs gäbe, wäre es ganz hilfreich, wenn einen das Navi nicht zur Luftlinien-nächsten Station ohne Autobahnausfahrt führt, sondern zur Routen-nächsten.
Kommen wir zu den vermeintlichen Stärken das Navi, nämlich zur Google-Maps-basierten Verkehrsanzeige, die alle meine Smartphones, Tablets und auch mein A7-Navi natürlich seit Jahren können. Beim A7 sogar so, dass ich die Verkehrsanzeige auch dort sehe, wo sie mich interessiert, nämlich auf meiner Route!!! Das Model S legt leider schön fett blau die Route übe die Verkehrsdaten, was in Verbindung mit der fehlenden Ausweichroutenberechnung besonders Spaß macht.
Auf der anderen Seite ist hier die Anzeige der Verkehrslage außerhalb der berechneten Route schon wieder wichtig, damit ich mir wenigstens auf der Karte selbst meine Ausweichroute zusammenreimen und dann mit Seitenblick auf die Karte fahren kann. Konnte meine Beifahrerin übrigens schon vor Erfindung der Navis, aber was soll‘s.
Ja, ich weiß, kann man alles per Update nachrüsten, kommt sicher auch irgendwann… Aber was würde Herr Musk sagen, wenn ich so lange auch nur einen Teil des Geldes überweise, bis das Ding wenigstens auf dem Minimalstandard eines 100€-TomToms ist?
Die always-online-Fähigkeit wird auch gerne als Highlight genannt, aber auch das hat mein A7 seit drei Jahren und zwar mit einem von mir auswählbaren Provider mit vernünftiger UMTS-Abdeckung anstelle irgendwelcher schwindiger Netzanbieter, die dann auch mitunter einfach so gewechselt werden von ‚Ultraschlecht‘ in ‚Grottenschlecht‘ und wieder zurück. Bei meinen mehrtägigen Fahrten im Raum Stuttgart waren die beiden von mir getesteten Model S ungefähr 50% der Zeit offline. Ich habe mir dann mit der in 5.9 neuen WLAN-Funktion beholfen, also das UMTS- oder LTE-Handy im Auto als Hotspot laufen lassen und den Tesla über WLAN drangehängt. Ist zwar ziemlich suboptimal (keine Außenantenne, dafür strahlt’s im Auto munter um die Wette auf allen Frequenzen und Protokollen…), aber immer noch besser als gar keine Funktion. Wenn ich den Tesla habe, werde ich als erstes einen 50€-Mobile-Hotspot mit Antennenanschluss und meiner Vodafone-Ultra-Card in den Frunk bauen sowie einen 12V-Anschluss, den man da auch leider vergessen hat, obwohl der Frunk für eine passende Kühlbox optimal wäre.
Kurzer Exkurs zum Frunk: wäre superpraktisch und mein hauptsächlich genutzter Stauraum, weil er näher an der Fahrertür liegt und nicht so groß ist, dass alles immer drin rumrollt. Leider ist der Frunk durch den vorsintflutlichen Schließmechanismus nur für Notfälle geeignet, wenn‘s hinten mal knapp wird oder wenn man die Kindersitze hinten drin hat.
Und a propos Strahlen im Auto… bei der Abschirmung der Audioanlage gegen Handysignale gibt’s wohl auch noch einige Hausaufgaben zu machen. In Gebieten mit schlechter Netzabdeckung fährt das Handy die Funkleistung hoch und die Audioanlage im Tesla kann man dann nur noch ausschalten, wenn man das Handy nicht im Kofferraum transportieren möchte. War übrigens bei beiden Testwagen identisch der Fall. Außerdem wäre ein eigenes Handy-Modul im Auto mit Sim Access oder Twin/Ultra-Card – wie es alle etablierten Hersteller anbieten – ohnehin die bessere Variante.
Kommen wir generell zur Online-Funktionalität… Der Browser ist sehr schwach, Youtube, Apps, verlinkte PDFs öffnen etc… alles Fehlanzeige… Und das Email-Schreiben und Texten wird einem durch die Tastatur verleidet… na ja, das müsste doch besser gehen.
Wenn mein Beifahrer in meinem A7 ins Internet will, nimmt er besser den iPad Air 128, den ich mir von der Preisdifferenz der ersten Monatsleasingrate kaufen kann, aus dem Handschuhfach und connected sich mit dem WiFi-Hotspot, den Audi freundlicherweise gleich mit eingebaut hat. Gesurft wird dann über die UMTS-Infrastruktur des Autos samt gutem Empfang über die Außenantenne und der Flatrate auf meiner Telefonkarte. Wenn ich hingegen als Fahrer ins Internet will, dann doch hoffentlich nur im Stand, insbesondere ohne die ganzen Assistenten, die bei anderen Autos die eine oder andere Unaufmerksamkeit des Fahrers ausbügeln können. Hier wiederum ist das Surfen über ein zweites iPad (das erste hat ja der Beifahrer ), finanziert über die zweite Monatsratenersparnis , auch die bessere Wahl gegenüber dem verschnarchten Tesla-Browser… siehe oben…
BTW, inzwischen gibt es bei Mercedes für das neue Riesen-Navi im S und S Coupe die Option Splitview für gerade mal 800 €. Damit sieht der Beifahrer durch seinen anderen Blickwinkel auf demselben Display etwas anderes als der Fahrer. Der Fahrer sieht Navi fullscreen und das deutlich größer als beim Model S in der oberen Hälfte, gleichzeitig sieht der Beifahrer fullscreen auf demselben Display einen Film oder eine App, ebenfalls breiter als die untere Hälfte vom Tesla-Display. So wird ein Schuh draus und man muss nicht gleich das halbe Auto vorne mit einem so unförmigen Display zupflastern wie beim Model S.
Als Krönung gibt’s bei Audi übrigens noch eine 230-Volt-Steckdose im Innenraum… Ein Feature, das beim MS richtig Sinn machen würde und hier auch schon nachgefragt wurde, auf das MS-Fahrer jedoch auf Lebenszeit verzichten müssen, denn das würde ja das Einspeisen des für lau gezapften SC-Safts ins eigene Reihenmittelhaus oder in einen Heizlüfter zur Erwärmung des klammen Zelts auf dem Campingplatz ermöglichen… Verzeiht mir hier den Sarkasmus, manchmal geht er einfach mit mir durch…
Die 230V im A7 können natürlich keinen Heizlüfter treiben, dazu hat er eine zu niedrige Bordspannung und eine zu kleine Batterie, für meinen Laptop mit 110W-Netzteil reichts aber. Im Models S mit mehr Saft fänd ich das schon sehr reizvoll. Auf dem Gartengrundstück bissl Strom ins Häuschen liefern oder für den Elektrorasenmäher und die Espressomaschine… why not?
Ok, kommen wir zum Kern und der Hauptkompetenz des Model S, dem Antriebsstrang samt Fahrwerk. Sicher der Hauptgrund für die meisten und auch für mich – neben weltanschaulichen und Umweltaspekten – sich für ein Model S zu entschieden. Die Beschleunigung vor allem unten rum ist atemberaubend und kein anderes von mir bisher gefahrenes Fahrzeug außer dem i3 und meinem E-Bike hängt so direkt am Gas bzw. am Strom. Hier passt der Unbezahlbar-Spruch von der Mastercard-Werbung mal wirklich… Obenrum (so ab 150) wird’s im Vergleich dann schon wieder etwas zäher, denn da sind die konkurrierenden Verbrenner in brauchbaren Drehzahlen unterwegs und müssen auch nicht mehr soviel Schalten, Kuppeln oder Wandlern. Ab 200 oder 210 ist dann für den Tesla eh Schicht, da hab ich mit dem A7 (3 Liter Kompressor mit 420PS Abt-Chip) noch 2-3 Gänge zum drauflegen, bis es dann bei 280 langsam in den Begrenzer geht. Kann man aber mit leben, das MS ist halt nicht für Autobahnhatz in Deutschland gebaut und bei Tempo 130 lebt man eventuell auch länger. Ich glaube übrigens, dass ein generelles Tempolimit z.B. bei 130 – was ich mir ausdrücklich nicht wünsche(!) – das E-Auto-Thema fühlbar nach vorne bringen würde.
Der Antrieb hat aber auch einige objektive Nachteile, wobei als erstes der fehlende Allradantrieb zu nennen wäre. Das Model S hat – wie auch mein A7 und andere Hochleistungsfahrzeuge – ein gigantisches Drehmoment und bringt es nur mit Mühe und gewaltigen Reifenverschleiß auf die Straße. Nun kann man zwar argumentieren, dass man die Beschleunigungsorgien ja einfach bleiben lassen kann, aber dummerweise ist das doch eines der – wenn nicht das – Highlights des Model S. Tesla versucht das Manko durch ungewöhnlich dimensionierte Räder etwas auszugleichen, was aber neben den exorbitanten Mehrkosten für die 21“er wieder Nachteile in Komfort, Praxistauglichkeit (Randsteine) und Kultiviertheit mit sich bringt. Und spätestens bei Regen oder gar Schnee/Eis ist eh zappenduster für den Heckantrieb. Winter liegt aber ohnehin nicht so sehr im Fokus von Tesla, wie sonst kann man auf die Schnapsidee kommen, das MS auch in Deutschland auf den 19-Zöllern ausschließlich mit Ganzjahresbereifung auszuliefern? Amiland lässt grüßen… it never rains in Southern California oder so ähnlich… von Schnee ganz zu schweigen. Diese Marotte führt übrigens zu der paradoxen Situation, dass ich das Auto in alltagstauglichen 19“ nur mit Pseudo- und mit echten Winterreifen ab Werk bekommen kann, nicht mit Sommerreifen. Ich hoffe, dass mein Tesla-Center die Goodyears gleich unbenutzt zurücknimmt und mir auf die 19“-Felgen dann wenigstens brauchbare Winterreifen montiert. Im Sommer werde ich 20“-Brock fahren, wahrscheinlich ein guter Kompromiss aus Traktion und Härte.
Zum Fahrwerk bleibt übrigens noch zu sagen, dass eine Verstellbarkeit der Härte/Dämpfung schmerzlich fehlt. So kann ich mich zwischen P85 mit und ohne das Plus nur einmalig beim Kauf entscheiden – bei einem so komfortbetonten Cruiser (ja, wenn man nicht dauernd am SC stehen möchte, ist das MS ein gemütlicher Cruiser und sonst nichts) ist die Plus-Version schlichtweg zu hart. Wenn man das MS temporär (kurz vor dem Supercharger oder auf Kurztrips) eher als Sportwagen sieht, wäre die Plus-Härte wieder wichtig. Also ein exterm versatiler Antrieb mit einem Null versatilen Fahrwerk kombiniert… schade eigentlich.
Und eigentlich sollte ich hier auch nur der Vollständigkeit halber erwähnen, dass sich das ebenfalls höhenverstellbare Luftfahrwerk meines Mitteklasse-A7 auch in der Härte dreistufig verstellen lässt bzw. in der Auto-Stellung dieses abhängig vom Fahrverhalten automatisch macht – sogar abhängig von der Last auf der Anhängerkupplung, aber die gibt’s bei Tesla ja eh nicht… Fahrradtransport im Auto wird auch ziemlich überschätzt, obwohl man damit am Urlaubsort auch was für Umwelt und Gesundheit tun könnte und nicht jeder mit überteuerten, unsicheren Gammel-Leihrädern rumfahren möchte.
Nun noch ein paar Gedanken zur Rekuperation… die ist zweifellos auch ein Highlight und macht das Auto zumindest in der Stadt jedem Verbrenner überlegen. Bremsbeläge halten ewig, Bremsscheiben auch etc etc. Man kann das Auto tatsächlich in den meisten Situationen mit dem Fahrpedal bremsen, allerdings macht das der i3 hier besser, denn da geht’s bis zum Stillstand. Ich habe mir neulich mal den Spaß gemacht, mit dem i3 auf den 20 km von Heim bis Arbeit in Stuttgart zu versuchen, das Bremspedal gar nicht zu berühren, was mit vorausschauender Fahrweise und nicht zu vielen Chaoten um einen rum auch gelingt. Am Besten wären Lenkradpaddel, mit denen man die Bremswirkung in mehreren Stufen rauf- und runterschalten kann… na ja, das könnte Tesla ja noch SW-mäßig nachladen und auf die Lenkradtasten legen… ich fänd‘s auf jeden Fall besser als die zwei fix eingestellten Reku-Stufen irgendwo verbuddelt im Setup-Menu.
Was man beim Reku-Bremsen übrigens bedenken sollte ist die Tatsache, dass nur über die Hinterräder gebremst wird. Das könnte bei Glätte interessante Effekte haben und außerdem ist damit ein Großteil des Reifenverschleißes auf den Hinterrädern. Bei anderen Autos geht die Bremsleistung schwerpunktmäßig nach vorne, was den Verschleiß gleichmäßiger verteilt und außerdem den Hintern besser in der Spur hält. Nicht umsonst haben die meisten Autos - vor der Einführung von ABS lebenswichtig - einen Bremskraftregler für die Hinterachse, um der dynamischen Achslastverschiebung Tribut zu zollen. Nur hinten bremsen ist also eher suboptimal. Im Model X kann Tesla das ja dann richten, am besten gleich mit optimal modulierter Bremskraftverteilung vorne/hinten.
Zum Verbrauch versus Verbrenner noch der eine oder andere Punkt, weil ja das Thema ja immer wieder für Vergleichsrechnungen zur Kompensation der Mehrkosten des Model S (z.B. beim Leasing) herangezogen wird. Bei der Fahrweise, die die Tesla-Fahrer hier im Forum aufgrund der mageren Lade-Infrastruktur und der trotzdem noch langen Ladezeiten (im Vergleich zum Tanken) an den Tag legen, um einigermaßen brauchbare Reichweiten zu erhalten, bewegt sich auch ein Verbrenner ziemlich nah am Normverbrauch. Bei Dieseln in der oberen Mittelklasse (A6, E-Klasse, 5er) reden wir da von 5-6l/100km und selbst bei leistungsstarken Benzinern (z.B. mein 420PS-A7) von 7-8l/100km. Selbst probiert, da öfters in der Schweiz unterwegs… 8er vorne dran geht immer, bei idealen Bedingungen auch mal ne 7.
Ausnahme ist natürlich – siehe oben – der Stadtverkehr mit hohem Reku-Einsatz, aber in der Stadt drängt sich mir eher der i3 auf.
Und erzählt mir nicht, dass hier alle mit dem Model S hemmungslos und spaßbetont rumheizen… die stolz im Footer genannten Durchschnittsverbräuche einiger User sprechen eine andere Sprache. Wenn ich nur 25kWh auf 100 km verbrauchen kann, dann sind Tempo 100, 120 angesagt und ab und zu mal Windschattenfahren. Nicht unbedingt das, was man sich unter freiem Fahren vorstellt. Zugegeben, Sparen kann auch Spaß machen, aber die Ergebnisse sind bei gleicher Kasteiung dann auch bei Verbrennern entsprechend verblüffend. Nur zwingt mich der Verbrenner nicht so zum Sparen, weil keine Liegenbleiber wegen leerem Akku oder lange Ladezeiten drohen.
Und wenn wir mal den Reisedurchschnitt z.B. für 1200 km von Stuttgart nach Südfrankreich unter der maximal optimistischen Annahme vergleichen, dass es sogar beliebig viele SCs überall an der Strecke gäbe, dann sieht das ungefähr so aus:
Variante sparsam mit dem Tesla: mit etwas Mut erst nach 400 km das erste Mal laden, dann alle 200 km. Macht viermal laden, wenn man am Ziel auch laden kann, diese Zeit aber huer nicht mehr mitzählt. Also 12 Stunden reine Fahrzeit bei nem 100er-Schnitt plus 100 Minuten laden (je 25 min mit Anfahrt, Anklemmen, Abklemmen, Abfahrt). Also 13 Stunden 40 Minuten insgesamt.
Variante Tesla mit hohen Geschwindigkeiten: Hier schafft man evtl. einen 120er-Schnitt, auch wenn man oft viel viel schneller fahren muss, um 120 im Mittel zu erreichen. Da reicht der Akku beim ersten Stint gerade mal 200 km und die weiteren je 100 km. Also 10 Stunden Fahrzeit und 10 mal laden, in Summe also über 14 Stunden.
Nehmen wir mal meinen leistungsstarken Verbrenner dagegen, der braucht beim Cruisen mit 100er-Schnitt ca. 8l/100km und zügig auf der Langstrecke 12l/100km.
Also sparsam mit dem Verbrenner bedeutet dann 12 Stunden fahren und dank 75l-Tank nur einmal tanken, also 12:05. Ok, wir machen noch eine kleine zusätzliche Pause mit 20 Minuten für Ausruhen und einen zweiten Fahrerwechsel, also 12:25. Fast eineinhalb Stunden schneller…
Beim Verbrenner mit Schnellfahren sieht es noch besser aus: ebenfalls nur einmal tanken, aber nur 10 Stunden Fahrzeit, also in Summe 10:25 samt Pause… Dreieinhalb Stunden früher am Strand in Südfrankreich als der erste Tesla. Oder andersrum gerechnet: mit dem Tesla brauche ich selbst bei optimaler SC-Infrastruktur 30% länger als mit dem Verbrenner. Rechnet man das mal wieder in bezahlte Arbeitszeit und damit Geld um, hab ich den Sprit bis Marseille schon zweimal alleine dadurch bezahlt.
Wie man sieht, behebt selbst ein unendlich dichtes SC-Netz nicht das Hauptproblem des Elektroautos… man kommt auf Langstrecken wesentlich langsamer voran. Erst Change-Stationen können das Problem beheben. Aber die sehe ich in Europa noch nicht und auf das Preismodell bin ich auch gespannt, denn das soll ja laut dem guten Elon ausnahmsweise mal was kosten…
So, nun habe ich – neben dem Umweltthema, das ist definitiv ein ganz anderer Komplex und momentan längst nicht so final betrachtbar, wenn man ‘well to wheel‘ und Nachhaltigkeit berücksichtigt – einige Punkte beleuchtet. Ebenfalls nicht betrachtet sind die wirtschaftlichen Auswirkungen, denn wenn die Welle zu früh in die E-Richtung a la Tesla schwappt, stehen wir hier in Deutschland ziemlich schnell vor einem sehr schmerzhaften wirtschaftlichen Umbruch. Man denke neben den Autoherstellern vor allem an die Zulieferer wie ZF, Mahle etc. Ein Tesla braucht halt keine Filter mehr außer dem für die Frischluft, kein Getriebe, keine Kupplung, keine Kolben, keine Keilriemen, keinen Anlasser, Wasserpumen, Lichtmaschinen und und und… Womöglich können sich diejenigen dann gar keinen Tesla mehr leisten in Deutschland, die das momentan noch könnten… aber das ist ein anderes Thema.
Und, ganz wichtig:. Bitte den Post nicht falsch verstehen, der Tesla ist definitiv cool. Ich kritisiere hier vor allem die Fanboys, die mit dem Kauf des Tesla gleich auch die Fähigkeit zum Hinterfragen und vollständigen Durchdenken von Sachverhalten mit im Tesla-Online-Shop abgegeben haben und hnur noch alles bashen, was irgendwie gegen den Heiligen Gral ‚Model S‘ gesagt werden könnte.
Im Gegenteil, ich freue mich über jeden Tesla-Käufer, denn damit wird die Situation allmählich für alle besser, der Druck auf Tesla zum Nachrüsten woanders selbstverständlicher Features wird größer, der Druck auf mehr Ladeinfrastruktur inklusive Change-Stations (nur das macht m.E. langfristig Sinn, solange niemand eine revolutionäre neue Akkutechnologie erfindet und marktreif bekommt) etc. etc.
In diesem Sinne mit herzliche Grüße aus Benztown bzw. momentan aus New York… muss mal sehen ob‘s hier ‘nen Tesla Store gibt… wäre sicher interessant.
ALSET
P.S.: Nein, ich arbeite nicht für die Automobil-, Zuliefer- oder Ölindustrie… meine Firma macht Enterprise-Standardsoftware am teuren Standort Deutschland und ich stehe dazu.