Wie sollte die im Auto dauerhaft angezeigte Restreichweite bestimmt werden?
- Aufgrund eines konstanten Verbrauchsfaktors, wei bei Tesla, mit Rest-SoC beim Navi-Ziel und gesonderter Energieanalyse.
- Als „Guess-O-Meter“, es sollen ständig alle verfügbaren Daten in die Schätzung der Restreichweite einfließen, und diese Reichweite soll dem Fahrer/der Fahrerin minutengenau aktualisiert angezeigt werden.
- Dauerhaft sollte nur der SoC in Prozent angezeigt werden, die Restreichweite lässt sich dabei am besten im Kopf aufgrund von Erfahrungswerten abschätzen.
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Hier im Forum gibt es ja schon eine ganze Reihe Diskussionen zum Thema „Restreichweitenanzeige“. Da diese aber meist speziell auf den jeweiligen Fahrzeugtyp beschränkt sind, denke ich, es ist angebracht, die Sache einmal allgemein zu beleuchten und vielleicht ergibt sich auch ein Meinungsbild, welcher Ansatz bei den Benutzern besser ankommt.
Ich habe längere Zeit einen BMW i3 gefahren und fahre seit März ein Model 3, und da fallen die unterschiedlichen Methoden zur Restreichweitenberechnung schon auf.
Der i3 besitzt, wie auch viele andere E-Autos in dieser Klasse, ein sogenanntes „Guess-O-Meter“ (GOM), welches ständig sämtliche verfügbaren Daten, z.B. Fahrverhalten in der Vergangenheit, Streckenführung im Navi, Steigungen, Wetter, Temperatur, Nebenverbraucher usw. in die Schätzung der Restreichweite mit einfließen lässt. Ein großer blauer Balken im Display mit einer Kilometerzahl daneben soll ständig die zu erwartende Restreichweite angeben, optional lässt sich auch der SoC in Prozent zusätzlich anzeigen.
Im Model 3 dagegen wählt man grundsätzlich aus, ob der Akkustand in % oder die Restreichweite in km angezeigt werden soll, und wenn man die Einstellung „Kilometer“ gewählt hat, wird der SoC einfach mit einem konstanten Verbrauchsfaktor in eine Strecke umgerechnet. Genauere Schätzungen, die die Umgebungsbedingungen berücksichtigen, erhält man beim Model 3 nur, wenn ein Ziel im Navi programmiert ist (dann wird der geschätzte SoC bei der Ankunft und evtl. nach einer Rückfahrt angezeigt), oder wenn man die gesonderte App „Energie“ benutzt, in der man dann aber auch recht detaillierte Optionen hat, den zurückliegenden und geschätzten zukünftigen Verbrauch zu visualisieren.
Auf den ersten Blick scheint der Ansatz von BMW überlegen. Man will dem/der Fahrer*in eine möglichst genau berechnete Restreichweite bieten, um die Reichweitenangst zu minimieren und eine optimale Planung zum Laden des Fahrzeugs zu ermöglichen. In der Praxis sehe ich da aber einige Probleme - bei mir selbst, bei anderen, die z.B. den i3 fahren, und auch selbst bei erfahrenen E-Mobilisten auf YouTube. Die Idee, alles möglichst genau zu berechnen und das Ergebnis dem Nutzer im Minutentakt aktualisiert an die Hand zu geben, mag zwar technisch attraktiv und logisch sein, verwirrt aber in der Praxis oft, da sich die Umgebungsfaktoren, die den Verbrauch beeinflussen, in vielerlei Hinsicht ändern können, und auch das beste Rechenmodell kann nicht voraussehen, ob es Dir womöglich doch etwas zu kühl im Auto wird und Du die Heizung aufdrehst, ob Du plötzlich Lust bekommst, aufs Strompedal zu treten und ein paar Kilometer mit 200+ zu fahren, oder ähnliche Faktoren. Außerdem habe ich festgestellt, dass das Rechenmodell an sich einige Fehler hat, denn z.B. wird eine am Abend abnehmende Außentemperatur vor allem im Winter nicht vorausberechnet, so dass bei einer Fahrt in den Abend hinein die Restreichweite plötzlich viel stärker abnimmt, als vorgesehen. Das GOM im BMW berücksichtigt also letztendlich auch nur recht statische Faktoren und geht zudem davon aus, dass man immer mit dem gleichen Fahrverhalten unterwegs ist, was zumindest bei mir überhaupt nicht stimmt. Dadurch wird der Verbrauch aufgrund der vorliegenden Daten zwar recht genau berechnet, die Datenbasis selbst steht jedoch auf wackeligen Füßen. Das führt dazu, dass die Anzeige teilweise weiträumig, bis zu 50% der Gesamtstrecke, von einer auf die andere Minute hin- und herspringt. Ganz am Ende stimmt es dann natürlich doch meist wieder, dennoch ist es vor allem für Neulinge verwirrend, und als erfahrener E-Mobilist ertappt man sich dann immer wieder dabei, dass man im Kopf die GOM-Anzeige in einen Rest-SoC umrechnet, den man am Ende seiner Fahrt wohl haben wird, und dabei die Faktoren einrechnet, die das System nicht wissen kann, z.B. dass man sich vornimmt, etwas langsamer oder schneller zu fahren. Besonders groß sind die Sprünge dann, wenn man nach Fahrtantritt ein weiter enferntes Ziel im Navi programmiert, das man mit viel Autobahnfahrt erreichen möchte. Wenn da nach einigen Minuten (ja, das Navi des BMW braucht einige Zeit) die Route berechnet ist, steht urplötzlich oft fast nur noch die Hälfte der Reichweite im Display. Dass so etwas die Leute einfach nur verunsichert, dürfte klar sein, zumal solche Sachverhalte auch von BMW nicht ausführlich genug beschrieben werden.
Da erscheint mir heute die Anzeige im Tesla „ehrlicher“, denn, sofern man die streckenbasierte Ladestandsanzeige eingestellt hat, kennt die angezeigte Kilometerzahl während der Fahrt nur eine Richtung: Nach unten. Wenn man ohne Navi fährt, kann man dennoch die Reichweite einschätzen, denn gegen Ende stimmt die Anzeige auch hier immer recht genau. Und wenn man ein Navi-Ziel programmiert hat, wird ja ein erwarteter Rest-SoC angezeigt, bei dem dann auch wieder viele Umgebungsfaktoren einfließen. Dadurch, dass so ein SoC in Prozent aber relativ grob eingeteilt ist, gibt es auch kaum größere Sprünge in dieser Anzeige, und der Rest-SoC am Ziel ist ja auch genau das, was man eigentlich wissen will. Bei mir schwankt - auch bei stark unterschiedlichem Fahrverhalten - der angezeigte Rest-SoC nur um wenige Prozentpunkte, und wenn, ist das absolut vorhersehbar, da ja klar ist, dass das Auto nicht wissen kann, dass ich mit 230 km/h über die Autobahn fahren will. Für mich ist also mittlerweile der Tesla-Ansatz viel brauchbarer und praxistauglicher als die scheinbare mathematische Korrektheit eines GOM.
Wie seht Ihr das?