All die schönen Studien…

Es muss einmal klar gesagt werden:
Hinter der seit 2011 ununterbrochenen Abfolge nicht realisierter Ankündigungen und Konzepte im Bereich E-Mobilität steht nicht Unvermögen oder Unwillen der Industrie.

Es handelt sich vielmehr um eine Marketingstrategie, die dazu dient, den Markt vor leistungsfähigen neuen Teilnehmern zu schützen. Denn der Durchschnittskunde wird denken: Wenn da bald etwas von Mercedes kommt, muss ich nicht heute das Risiko eingehen, ein unreifes Produkt zu kaufen, oder: Wenn bald 1000 km Reichweite verfügbar sind muss ich nicht heute ein Fahrzeug mit 300 km nehmen, etc. (Jüngstes Beispiel ist der von der Presse in geradezu grotesker Weise hochgelobte VW I.D., eine völlig unfertige Konzeptstudie…)

Dabei spielt es gar keine Rolle, ob eine ernsthafte Absicht oder Möglichkeit zur Realisierung der Projekte und zur Veränderung des Marktes besteht. Deswegen lässt man Leute wie La Vecchia (Quant) machen, ohne sie der Lächerlichkeit Preis zu geben (was ein Kinderspiel wäre). Wesentlich ist, dass durch diese Ankündigungen scheinbar bessere Alternativen zum aktuell bestehenden Angebot gezeigt und als in nächster Zukunft verfügbar dargestellt werden (der Zeithorizont ist immer 2 bis 3 Jahre – also lang genug, um eine alternative Kaufentscheidung jetzt zu erzwingen). Durch die Suggestion, es handle sich um einen unreifen, aber kurz vor wesentlichen Durchbrüchen stehenden Markt, wird der Zeitpunkt des Umkippens des Kundenwillens immer weiter verschoben.

Das Ganze hat zwei fatale Nebenwirkungen:

  1. Alle noch nicht verfügbaren Konzepte tragen zur Verlangsamung des Übergangsprozesses bei, auch – und nicht zuletzt – das Model 3 und, seit Kurzem, der Lucid Air, weil Kunden, die sich für diese Angebote begeistern und sich darauf bereits festgelegt haben, für andere, verfügbare Angebote „taub“ sind.

  2. Diese Verzögerungstaktik wirkt auf die ganze Automobilindustrie zurück, weil dort der Eindruck besteht, man habe Zeit gewonnen, oder man habe gar neue Marktteilnehmer verdrängt (einige glauben ja immer noch an ein schließliches Scheitern von Tesla). Dadurch wird es, sobald das erste ernst gemeinte, für den Massenmarkt geeignete Produkt verfügbar ist (und das wird Stand heute das Model 3 sein) zu einer erdrutschartigen Verschiebung des Kundeninteresses kommen, der man nur begegnen könnte, wenn bereits heute große, gezielte Investitionen getätigt würden, und zwar nicht in erster Linie in fancy Fahrzeuge, sondern vor Allem in Kapazitäten zur Akkufertigung und in Lade-Infrastruktur.

Ergänzung: Wichtig für das Funktionieren dieser Strategie ist, dass es ein reales Angebot gibt, das zwar nicht richtig schlecht ist, aber unattraktiv genug, um die Hoffnung auf eine baldige wesentliche Verbesserung zu fördern. Schlechte / langsame Lader z.B. wirken hier Wunder, denn auch Fahrzeuge mit nominell guten Reichweiten werden dadurch uninteressant. Zusätzlich kann man auf diese Weise immer auf den Kundenwillen verweisen, da man ein Angebot hat, das aber nicht angenommen wird (über die Gründe dafür wird natürlich nicht öffentlich verhandelt).

Auch Model S udn X lassen sich im Sinne dieser Strategie instrumentalisieren: Sie sind für normale Menschen zu teuer.

Ich denke Du hast das treffend analysiert.

Dazu könnte ich jetzt verschiedene Schlussfolgerungen treffen. Heute bin ich mal egoistisch als Tesla-Aktionär. Das Model 3 wird einschlagen wie eine Bombe, der Aktienkurs wird durch die Decke gehen und ich schaue schon mal, in welchem Land (ungleich Deutschland) ich meinen Lebensabend verbringen würde. Mal schauen… warm muss es sein, freundliche Menschen muss es haben, und schöne Frauen :sunglasses:

Aber mir tun die baldigen, vielen Arbeitslosen aus der jetzigen Automobilindustrie auch leid…

willst Du mit Deinem letzten Satz zum Ausdruck bringen das Tesla dazu beiträgt das die Elektromobilität verzögert/behindert wird???

Wenn dem so ist muss ich Dir widersprechen.
Sicherlich ist Tesla sehr teuer und für die Mehrzahl der Autofahrer unerreichbar, aber es zeigt das es machbar ist und das genau ist der Grund weshalb solche Early Adopter wichtig sind.

Genau dies war für mich ein wichtiger Grund einen Tesla zu kaufen - ich wollte zeigen das man „Heute“ mit einem Elektroauto gut leben kann.
Ich habe ständig Kontakte zu interessierten Personen die ganz erstaunt sind wenn ich ihnen erzähle wohin ich mit meinem Tesla schon gefahren bin. Natürlich wird kaum jemand deshalb einen Tesla kaufen können, aber solche Gespräche helfen genau dem entgegenzuwirken was mit den Ankündigungs vernebelt wird.

Dies kann ich nicht ganz so nachvollziehen.
Es besteht durchaus eine Absicht, die Technologie im E-Fahrzeugbereich so gut wie nur möglich zu sabotieren, so dass die Akzeptanz es wirklich mehr als nur schwer haben wird.

Ein gutes Beispiel dafür:
youtube.com/watch?v=AnCLbspanFY
UPS… da kommt die Meldung:
„[DOKU] Das Märchen von der …“
Das mit diesem Video verbundene YouTube-Konto wurde aufgrund mehrerer Meldungen Dritter über Urheberrechtsverletzungen gekündigt.

Wer dieses Video noch gesehen hatte, erinnert sich vielleicht daran, dass es eine Sendung vom ARD war. Darin wurde klar gezeigt, dass beispielsweise die deutsche Autoindustrie kein interesse an Elektrofahrzeugen hat… Argumente wie, was machen wir mit unseren Getriebelieferanten… wie sollen die Kerzenhersteller überleben… wie sieht es mit den Auspuffanlagehersteller aus… usw. ??? Niemand sprach da, wie kann sich ein Hersteller neu orientieren? Wie machten das nur die Kohlelieferanten, als man auf Ölheizung umgestiegen ist?

Tatsache ist, dass gewisse Industriezweige einfach in der Zeit stehen bleiben (wollen), anstatt im Fluss zu bleiben.

Ich schätze mich glücklich, mit meinem Tesla ein ganz kleiner Teil von der Innovation für die Elektromobilität zu sein. :unamused:

Ich habe festgestellt, dass es diesen unerwünschten Nebeneffekt tatsächlich gibt.

Ganz persönlich: Würde ich nicht auf das Model 3 warten, dann hätte ich wahrscheinlich eine Zoe oder einen i3 oder sowas. Könnte ich mir ein Model S leisten, hätte ich eines.
Das Bessere, das beinahe verfügbar ist, kann eben auch der Feind des Guten, das es gibt, sein.

Dennoch ist jeder verkaufte Tesla natürlich gut. Erstens lieben die Leute diese Autos und beschäftigen sich deshalb – vielleicht zum ersten Mal – unter positiven Vorzeichen mit E-Mocbilität, wenn sie eines erleben können. Zweitens hilft man durch den Kauf eines Tesla nicht mit, die Flottenwerte eines Verbrenner-Herstellers zu verschönern. Mein Tipp deswegen (und das spielt wieder in die Richtung meines Anfangsposts): Kaufe kein Elektroauto von einem Verbrenner-Hersteller, denn auch damit verlangsamst du den Übergang.

Edit: Der YouTube Link ist tot.

Da kann ich doch Vancouver empfehlen: fast nie unter Null, fast nie über 30 Grad und der Rest passt auch. :wink:

dritte fatale Nebenwirkung

  1. Diese mittelfristig verzögernde Marketingstrategie (Rückzugsgefecht) verdummt und verdirbt allerdings langfristig die zukünftig größte und wichtigste BEV-Kundenzielgruppe im massentauglichen mittlerem Preissegment. So wird VAG bei den Kernmarken Golf und Passat mit einer aktuellen Marge von nur 2 % zwar den aktuellen Absatzrückgang von 5 bis 6 % (bei leicht steigendem Gesamtmarkt) gerade noch auffangen. Die den Autokäufern derzeit vorgebeteten Totschlagargumente gegen BEV werden sich markenschädlich später massiv rächen. Das vergessen viele normale Autofahrer nicht so schnell wieder. Und nebenbei: das Niveau der erzielbaren Verkaufspreise von Diesel-Gebrauchtwagen ist 2016 um ca. 12 % gesunken, Trend geht so weiter. Das wird jeder zweite deutsche Autokäufer auch mal merken.

@Trabbisachse: Genau das finde ich auch fatal. Die ganze Negativpropaganda über E-Mobilität hier in Deutschland wird sich noch fatalerweise rächen. Wenn die ganze Welt längst E-kauft, gibt es bestimmt hier noch eine Hardcore-Gruppe von echten Männern ™, die weiterhin ihre 4 Auspüffe (Auspuffs? :laughing: ) braucht zum Erhalt der Männlichkeit.

@Franko30: Gut zu wissen, ich habe auch schon gutes über Kanada gehört. Muss ich wohl mal hinfahren, ist auch bestimmt eine gute Alternative zum jetzt 4-stündigen Intensiv-Terror-Verhör (?) bei der Einreise nach Trumpland

Ich habe drei Gegenpunkte:

  1. Tesla mag mit der Aussicht auf Model 3 viele Interessenten vom Kauf eines E-Autos hier und jetzt abhalten, richtig. Aber sie bewerben das Auto keineswegs aggressiv, und sie versuchen den Reservationshaltern das abgespeckte Model S schmackhaft zu machen.

  2. Noch mal „crossing the chasm“ zur Hand nehmen oder den TED-Vortrag von Simon Sinek „start with why“ anschauen. Man muss nicht die Massen überzeugen, sondern die wenigen einflussreichen Trendsetter. Dann kommt der Rest auch. iPhones wurden ja auch nicht für Schüler auf den Markt gebracht.

  3. Sobald es „tolle“ E-Autos aus deutscher Produktion gibt, wird die versammelte deutsche Auspuff^H^H^HAutopresse Hurra schreien. All das elende Geschreibsel von wegen „teuer, keine Reichweite, keine Ladesäulen“ wird vergessen sein, und wir (eine kleine Minderheit) würden es ihnen am liebsten noch mal den Hals hinunter stopfen. Egal. Die Stimmung betreffend E-Mobilität ist schon am Wendepunkt. Fahrverbote für Verbrenner werden das befördern - Stuttgart steht bereits mit dem Rücken zur Wand.

Ja, dieselbe Strategie benutzt Microsoft schon lange, um innovative Newcomer vom Markt zu drängen.
„Kein Grund, die tolle neue Software X zu kaufen, bald gibt es dafür eine Standardlösung von Microsoft“.
Ob diese „Standardlösung“ jemals kommt, ist natürlich zum Zeitpunkt der Ankündigung in Wirklichkeit gar nicht sicher.