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POSITION
18. April 2013
Umweltbundesamt I Wörlitzer Platz 1 I 06844 Dessau-Roßlau I umweltbundesamt.de I 1
Kurzfristig kaum Lärmminderung durch Elektroautos
Elektromobilität ist in aller Munde: Auch im Bereich der Lärmminderung werden viele Vorteile erwartet. Aber Elektrofahrzeuge stellen sicher nicht den ersehnten Durchbruch zum leisen Verkehr dar. Messungen und Modellrechnungen zeigen in einer Gesamtbetrachtung nur ein sehr begrenztes Lärmminderungspotenzial bei Elektroautos. Gleichzeitig gibt es aber auch Fahrzeugklassen, bei denen elektrische Antriebe eine deutliche Lärmentlastung bringen können, allen voran Mopeds und Motorräder; aber auch Müllsammelfahrzeuge, ÖPNV-Busse und andere Nutzfahrzeuge, die ausschließlich innerorts bewegt werden und sehr häufig anfahren und wieder abbremsen.
Lärm nervt, Lärm macht krank, und Lärm betrifft sehr viele Menschen. So fühlt sich nach Umfragen des Umweltbundesamtes mehr als die Hälfte der Bundesbürger durch Straßenverkehrslärm belästigt. 13 Millionen von ihnen sind sogar Lärmpegeln oberhalb von 65/55 dB(A) tags/nachts ausgesetzt, die als potenziell gesundheitsgefährdend einzustufen sind. Da wundert es wenig, dass Öffentlichkeit und Politik große Hoffnung in die vermeintlich leise Elektromobilität setzen. Doch welche Chancen bieten Elektrofahrzeuge für die Minderung des Straßenverkehrslärms?
1 Grundsätzliches zur Akustik verschiedener Antriebskonzepte
Die von Kraftfahrzeugen ausgehenden Geräusche bestehen hauptsächlich aus Reifen-Fahrbahn-Geräusch und Antriebsgeräusch1
Beim Fahrzeug mit klassischem Verbrennungsmotor wird das Antriebsgeräusch hauptsächlich durch den Motor selbst und durch die Gaswechselvorgänge im Ansaug- und Auspuffsystem verursacht. Dabei hängt das Antriebsgeräusch in erster Linie von der Drehzahl des Motors und der Motorlast ab, nimmt also z.B. bei starker Beschleunigung („Vollgas“) und bei hochtouriger Fahrweise deutlich zu. Das Geräusch hat die größten Pegel bei tiefen Frequenzen unterhalb von 200 Hz. . Das Reifen-Fahrbahn-Geräusch entsteht beim Abrollen des Reifens auf der Straße und wird maßgeblich von der Beschaffenheit von Reifen und Fahrbahn beeinflusst. Es nimmt mit der Geschwindigkeit des Fahrzeugs zu und hängt nicht von der Antriebsart ab, ist also z.B. bei der Dieselvariante eines Fahrzeugs genauso groß wie bei der Elektrovariante. Anders sieht es beim Antriebsgeräusch aus, das alle Geräuschquellen, die mit der Bereitstellung der Antriebskraft in Zusammenhang stehen, umfasst. Dazu zählen neben dem Motor auch die Ansaug- und Abgasanlage und Komponenten wie das Getriebe oder im Fall von Elektrofahrzeugen die Leistungselektronik.
Bei Fahrzeugen mit reinem Elektroantrieb wird das Antriebsgeräusch hauptsächlich vom Elektromotor erzeugt. Elektromotoren sind wesentlich leiser als Verbrennungsmotoren gleicher
1 Aerodynamische Geräusche sind stark von der Geschwindigkeit abhängig und spielen erst ab etwa 120 km/h eine merkliche Rolle.
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Übersicht über die verschiedenen elektrischen Antriebskonzepte
Antriebskonzept
Abkürzung
Wesentliche Eigenschaften
Beispielfahrzeuge
Plug-In-Hybrid (paralleler Hybrid)
PHEV
Wie HEV; zusätzlich Ladung der Batterie am Stromnetz; kann ca. 20 bzw. 50 km rein elektrisch fahren
Toyota Prius Plug-In
Volvo V60 Plug-in-Hybrid
Hybrid mit Range Extender (serieller Hybrid)
REEV
Verbrennungsmotor, Generator und Elektromotor; der Verbrennungsmotor treibt nur den Generator zur Stromversorgung an und kann daher in einem sehr günstigen Bereich betrieben werden; kann mindestens 40 km rein elektrisch fahren
Opel Ampera
Batterie-elektrisches Fahrzeug
BEV
Elektromotor;
Ladung der Batterie durch Rückgewinnung der Bremsenergie und am Stromnetz
Nissan Leaf
Mitsubishi i-MiEV
Smart fortwo electric drive
Tesla Roadster
Renault Kangoo Z.E.
Brennstoffzellen- fahrzeug
FCEV
Elektromotor mit Brennstoffzelle zur Energieversorgung
Mercedes B Fuel Cell Honda FCX
Leistung. Hinzu kommen die Geräusche der Leistungselektronik, die lastabhängig sind und hauptsächlich beim Anfahren sowie beim Bremsen mit Energierückgewinnung, dem sogenannten Rekuperieren, entstehen. Dabei können hohe Pfeiftöne bei Frequenzen oberhalb von 5 kHz auftreten, die ein großes Störpotenzial besitzen
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Neben den klassischen Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor und reinen Elektrofahrzeugen gibt es sogenannte Hybridfahrzeuge, die beide Antriebe kombinieren. Solche Fahrzeuge besitzen sowohl einen Verbrennungs- als auch einen Elektromotor und damit grundsätzlich auch alle Geräuschquellen beider Antriebe. Gerade beim Anfahren weisen auch die Hybridfahrzeuge – bei angemessener Fahrweise – geringere Lärmemissionen auf als konventionelle Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Abhängig vom jeweiligen Konzept der Hybridisierung (siehe Kasten) und vom Betriebszustand verhält sich ein Hybridfahrzeug akustisch eher wie ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor oder eher wie ein reines Elektrofahrzeug. .
2 Geräuschteilquellen und Lärmminderungspotenziale
Da ein Wechsel von einem klassischen Verbrennungsmotor hin zu einem teil- oder vollelektrischen Antrieb nur das Antriebsgeräusch mindern kann, nicht aber das Reifen-Fahrbahn-Geräusch, kann ein solcher Wechsel nur bei den Fahrzeugen und in den Betriebssituationen lärmmindernd wirken, wo das Antriebsgeräusch pegelbestimmend ist.
Pkw:
2 siehe z.B. Fiebig, André; Sottek, Roland: Neue Straßenverkehrsgeräusche aufgrund neuer Fahrzeugantriebs-konzepte. In: Fortschritte der Akustik - DAGA 2011, S. 407-408. Bei Pkw mit klassischem Verbrennungsmotor ist – je nach Fahrbahnoberfläche, Gangwahl und Beschleunigung – das Antriebsgeräusch bis etwa 25 km/h dominant. Bei höheren Geschwindigkeiten bestimmt dagegen zunehmend das Reifen-Fahrbahn-Geräusch das Gesamtgeräusch des Fahrzeugs. Elektroautos sind also prinzipiell bei sehr niedrigen Geschwindigkeiten deutlich leiser als und bei höheren Geschwindigkeiten vergleichbar laut wie herkömmliche Pkw.
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Lkw/Busse: Bei schweren Nutzfahrzeugen ist das Antriebsgeräusch bis zu einer Geschwindigkeit von etwa 50 km/h dominant, also im gesamten innerörtlichen Geschwindigkeitsbereich. Wegen ihres hohen Energieverbrauchs und des Langstreckeneinsatzes sind Elektroantriebe für schwere Lkw jedoch technisch schwierig und wirtschaftlich unattraktiv. Außerdem absolvieren schwere Lkw das Gros ihrer Fahrleistung auf Bundesstraßen oder Autobahnen bei höheren Geschwindigkeiten, wo das Reifen-Fahrbahn-Geräusch dominiert. Eine Ausnahme bilden Müllsammelfahrzeuge, ÖPNV-Busse und andere Nutzfahrzeuge, die ausschließlich innerorts bewegt werden und sehr häufig anfahren und wieder abbremsen. Bei diesen Fahrzeugen ermöglicht ein teil- oder vollelektrischer Antrieb eine deutliche Reduzierung der Geräuschemissionen und gleichzeitig eine erhebliche Verbrauchs-minderung durch Bremsenergierückgewinnung.
Mopeds und Motorräder: Bei Mopeds und Motorrädern ist das Antriebsgeräusch unabhängig von der Geschwindigkeit stets die dominante Lärmquelle, so dass durch eine Elektrifizierung dieser Fahrzeuge eine enorme Minderung der Geräuschemissionen von 20 dB(A)3
3 Der Anteil der Elektroautos an der Gesamtflotte ist entscheidend für den Beitrag zum Lärmschutz und mehr erreicht werden kann. Wegen der großen Störwirkung schon einzelner motorisierter Zweiräder ist eine Elektrifizierung dieser Fahrzeuge aus Lärmschutzsicht sinnvoll, obwohl sie aufgrund ihres geringen Anteils am Verkehrsstrom in der Regel nur geringfügig zum Mittelungspegel, also dem Gesamtlärm, beitragen.
Die Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag 2009 das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf Deutschlands Straßen zu bringen. Eine substantielle Lärmminderung ist damit jedoch noch nicht zu erwarten. Im Folgenden soll die zu erwartende Lärmminderung quantitativ geschätzt werden.
Zum Jahresbeginn 2012 waren beim Kraftfahrbundesamt bei insgesamt 58 Mio. Kfz etwa 43 Mio. Pkw gemeldet, darunter knapp 5.000 Elektroautos und knapp 50.000 Hybridfahrzeuge. Für unsere Schätzung nehmen wir optimistisch an, dass
• die Zahl der Pkw bis 2020 insgesamt unverändert bleibt,
• eine Million dieser Fahrzeuge durch Elektroautos ersetzt wird,
• diese Elektroautos kein Antriebsgeräusch mehr erzeugen und
• dieselbe Fahrleistung erzielen wie die Fahrzeuge, die sie ersetzen.
Unter diesen Annahmen entfiele im Jahr 2020 bei gut 2 Prozent der Pkw das Antriebsgeräusch. Welche Geräuschminderung daraus am Straßenrand resultiert, hängt dann noch von der Verkehrszusammensetzung und dem Fahrzyklus der Fahrzeuge ab, woraus sich die Verteilung des Gesamtgeräuschs auf die Teilquellen Antrieb und Reifen-Fahrbahn ableiten lässt4
3 Ein Unterschied von 20 dB(A) bedeutet, dass ein einziges Moped mit Verbrennungsmotor genauso Lärm erzeugt wie 100 leise Elektromopeds zusammen. .
4 Wir verwenden hier für Deutschland repräsentative Daten aus Steven, Heinz: Minderungspotenziale beim Straßenverkehrslärm. In: Zeitschrift für Lärmbekämpfung, 2001, Nr. 3, S. 87-91.
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Auf Basis dieser Annahmen bleibt die zu erwartende Geräuschminderung noch unterhalb der Wahrnehmbarkeitsschwelle: An Stadtstraßen mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h beträgt die Minderung gerade einmal 0,1 dB(A) – an allen anderen Straßengattungen mit schneller fließendem Verkehr ist sie noch geringer.
Allein von der Elektrifizierung im Pkw-Verkehr ist also kurz- und mittelfristig kein nennenswerter Beitrag zur Lärmminderung zu erwarten, geschweige denn eine generelle Lösung des Lärmproblems des Straßenverkehrs. Vor allem kann der überschaubare Beitrag der Elektromobilität im Pkw-Bereich auf keinen Fall als Ersatz für andere Maßnahmen zur Lärmreduktion angesehen werden.
4 Sind Elektrofahrzeuge zu leise und damit gefährlich?
Beim Anfahren und bei sehr niedrigen Geschwindigkeiten kann ein Elektroauto im Verhältnis zum Geräuschhintergrund so leise sein, dass es kaum hörbar ist. Für Blinde und Sehbehinderte ist das Wahrnehmen möglicher Gefahren in solchen Situationen schwierig, weshalb Blindenverbände die verbindliche Einführung akustischer Dauersignale für Elektrofahrzeuge fordern. Diese Warnsignale müssen einerseits von blinden Fußgängern deutlich wahrgenommen werden können, andererseits dürfen sie – besonders bei Anwohnern – keine Störwirkung entfalten. Da bisher weder dieses Dilemma gelöst noch die theoretische Gefahrenlage in der Praxis nachgewiesen ist, ist die Einführung solcher Dauersignale aus Sicht des Lärmschutzes abzulehnen.
Für sinnvoll halten wir dagegen die Ausstattung leiser Fahrzeuge mit einem manuell auslösbaren Hinweissignal, vergleichbar einer Fahrradklingel, mit der eine freundliche Warnung abgegeben werden kann. So könnte die Fahrerin bzw. der Fahrer bei Bedarf akustisch auf sich aufmerksam machen, um Gefahrensituation zu vermeiden, ohne gleich hupen und damit unweigerlich erschrecken zu müssen.
5 Fazit
Elektroautos können nicht pauschal als leise bezeichnet werden – ihre spezifischen Vorteile für den Lärmschutz liegen im Bereich des Anfahrens und bei Geschwindigkeiten bis ca. 25 km/h. In allen anderen Situationen sind sie genauso laut wie Fahrzeuge mit klassischem Verbrennungsmotor. Daher können Elektroautos auch kein alleiniges Mittel zur Minderung des Straßenverkehrslärms darstellen. Selbst wenn bis 2020 eine Million Elektroautos auf Deutschlands Straßen unterwegs wären, würde dies nach unseren Schätzungen den Lärm am Straßenrand gerade einmal um 0,1 dB(A) mindern, das ist ein völlig unbedeutender Effekt. Zur Reduktion des Straßenlärms sind weitere Maßnahmen daher unverzichtbar.
Relevante Lärmminderungspotenziale durch Elektromobilität bestehen dagegen bei schweren Fahrzeugen, die innerorts häufig anfahren und bremsen, wie Bussen des ÖPNV und Müllsammelfahrzeugen. Noch größere Potenziale existieren bei Mopeds und Motorrädern, die prinzipiell fast so leise wie Fahrräder sein könnten.
Akustische Dauersignale für Elektrofahrzeuge sollten aus Gründen des Lärmschutzes nicht eingeführt werden. Eine Art Klingel als Ergänzung zur Hupe könnte dagegen helfen, mögliche Konflikte mit Fußgängern zu entschärfen.
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Fachgebiet: I 3.3 Lärmminderung im Verkehr
Dessau-Roßlau, 18.April 2013