HANDELSBLATT, 22.7.2015
Die Post unter Strom
Die Deutsche Post produziert seit Jahresbeginn hunderte Elektrofahrzeuge in Eigenregie. Warum die gelben Kastenwagen sich mehr und mehr als gutes Geschäft entpuppen – und sogar die Kanzlerin ein Fan ist.
Seit Dezember 2014 ist das Unternehmen direkter Wettbewerber von Tesla und Co.
Die Stromversorgung macht dem Hersteller noch zu schaffen.
Durch die Hallen des Werkzeugmaschinenlabors WZL, eines Instituts der Aachener Uni RWTH, hallt hydraulisches Schnaufen, elektrisches Piepen und mechanisches Klacken. Gleich nebenan steht der ganze Stolz der Aachener Tüftler: ein gelb-schwarzes Fahrzeug, versehen mit einer langen Motorhaube, schlitzförmigen Leuchten und einem Aufbau wie ein Eiswagen.
Das WZL ist der Geburtsort des „Streetscooters“, den Wissenschaftler aus 15 Instituten gemeinsam mit einem Konsortium mittelständischer Firmen erschaffen haben – ein revolutionäres Fahrzeug, mit dem die Ingenieure eines beweisen wollen: Elektromobilität ist bezahlbar.
Achim Kampker, Professor an der RWTH, ist der Vater des Projekts. Und seit wenigen Monaten gleichzeitig Geschäftsbereichsleiter des einzigen Auftraggebers, der Deutschen Post. Die Doppelrolle ist so ungewöhnlich wie der Erfolg: „150 Elektrofahrzeuge haben wir seit April 2014 bereits auf die Straße gebracht“, berichtet Kampker im Gespräch mit dem Handelsblatt, „weitere 350 werden noch in diesem Jahr folgen.“
Die Elektrofahrzeug-Ikone Tesla verkaufte hierzulande nur unwesentlich mehr. Sie brachte ihr „Modell S“ voriges Jahr 815-mal auf Deutschlands Straßen.
Die Post produziert günstig
Seit Dezember 2014 ist die Post direkter Wettbewerber von Tesla, BMW und Toyota. Vor Weihnachten übernahm sie die Tüftlertruppe Streetscooter GmbH, die bis dahin mit 100 Leuten Elektroautos zusammenschraubte. In Zukunft dürfen es deutlich mehr Mitarbeiter werden, die in einer einstigen Waggonbauhalle der Aachener Firma Talbot, nur zehn Minuten von der Uni entfernt, gelbe Kastenwagen montieren. Wie aus internen Berechnungen der Bonner Zentrale hervorgeht, werden sich die Fahrzeuge schon in naher Zukunft rechnen.
Noch liegen Dieselfahrzeuge, wie aus den vertraulichen Papieren hervorgeht, mit rund 16 Euro Betriebskosten auf 100 Kilometer knapp vor dem Elektromobil. Doch der Vorsprung schwindet. Die verbliebenen vier Euro Abstand wären schon eingeholt, sobald der Akku-Preis pro Kilowattstunde auf 250 Euro absackt.
Es ist nicht ausgeschlossen, den Streetscooter in Zukunft auch Handwerksbetrieben anzubieten.
Unwahrscheinlich ist das keineswegs. Seit dem Entwicklungsstart des Streetscooters sanken die Kosten für Lithium-Ionen-Akkus bereits von 800 auf 350 Euro. Die Analysten von Lux Research rechnen damit, dass ausgesuchte Akku-Hersteller wie Panasonic solche Energiespeicher in zehn Jahren sogar für 172 Dollar pro Kilowattstunde liefern können.
So lange aber will die Post nicht warten. Zu sehen sind ihre elektrischen Minilaster schon jetzt in den Innenstädten von Berlin, Hamburg und Aachen. In Bonn werden sie ab 2016 komplett die altgedienten Brief- und Paketfahrzeuge ersetzen. Mittelfristig, sagt Kampker, soll ein „signifikanter Teil“ der 35.000 Lieferwagen mit Elektroantrieb durch Deutschlands Städte rollen.
Auch die Produktion der optisch gewöhnungsbedürftigen Fahrzeuge kommt den Logistikkonzern günstig. Wie das Handelsblatt erfuhr, liegt die Zielmarke bei 22.000 Euro pro Stück. „Noch sind wir allerdings nicht ganz da“, berichtet ein Mitarbeiter.
Großes Lob von der Kanzlerin
Bislang fiel die Beschaffung anderer Elektrofahrzeuge weitaus teurer aus. Modelle vom Typ Renault Kangoo, Iveco Daily oder Mercedes Vito besaßen den Kostentreiber in der DNA: Sie alle liefen zunächst serienmäßig mit Benzinmotor vom Band, der später umständlich gegen einen Elektroantrieb ausgetauscht wurde.
Den teuren Umbau kann sich die Post beim Streetscooter sparen. Für die Aachener Forscher standen nicht Design und Höchstgeschwindigkeit bei der Entwicklung im Vordergrund, sondern die Kosten. Ein völlig neues Produktionsverfahren, das die Ingenieure für den Elektrotransporter entwickelten, soll dessen Fertigung günstig machen.
Das Campus-Spin-off Streetscooter war schon 2011 Lieferant der Deutschen Post. Damals präsentierte Kampker den ersten Prototyp auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt und gewann dort selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel als Fan. „Was Sie hier machen, ist wirklich eine gute Sache“, lobte die Physikerin, nachdem sie den Fahrersitz getestet hatte. „Machen Sie weiter so.“
Euro will die Post pro Elektrofahrzeug ausgeben. Bislang hat das Unternehmen diese Zielmarke noch nicht erreicht.
Anschließend orderte die Post ein Testmodell, das ab Juli 2013 zahlreiche Härtetests durchlief. Das 4,60 Meter lange Gefährt begeisterte Briefvorstand Jürgen Gerdes derart, dass er die Konzernkasse öffnete und den Hersteller übernahm. Offenbar als Schnäppchen, wie der Konzerngeschäftsbericht vermuten lässt. Gerade einmal zwei Millionen Euro Firmenwert musste die Post dafür in der Bilanz aktivieren.
Mit den Elektrotransportern hofft die gelbe Truppe auf ausgedehntere Fristen bei der Zustellung. Viele Städte gestatten Paketdiensten gerade einmal eine Stunde, um ihre Waren in die Fußgängerzone zu liefern. Mit leisen und abgasfreien Scootern könnten sie demnächst vielerorts bis zu drei Stunden bekommen.
Die Reichweite strapaziert die Nerven
Bis dahin aber gilt es, Kinderkrankheiten des Streetscooters auszumerzen. Die Türscharniere der Lieferwagen seien nicht robust genug gewesen, berichtete Briefvorstand Gerdes, um die täglich bis zu 250 Ein- und Ausstiege der Postboten zu verkraften.
Die Stromversorgung bereitet ebenso Kopfzerbrechen. „Fürs Laden benötigen wir 16-, besser 32-Ampere-Leitungen“, erzählt ein Manager. In Städten wie Bonn sind die aber kaum zu haben. So drohen glühend heiße Leitungen – und schlimmstenfalls Stromschwankungen in einzelnen Stadtteilen. „Wir setzen deshalb auf eine intelligente Steuerung und laden zeitversetzt“, fand Kampker eine Übergangslösung. „Bei mehr als 100 Fahrzeugen an einem Standort benötigen wir aber Strom-Zwischenspeicher.“
Auch die Reichweite der Fahrzeuge strapaziert mitunter die Nerven der Postboten. Statt der zugesagten 120 Kilometer sind wegen des Stop-and-go-Verkehrs in der Stadt meist nur 80 drin. Weil die Batterielieferanten empfehlen, die Akkus nur alle zwei Tage aufzuladen, fuhren die Scooter ihre Tagestouren von rund 35 Kilometern zunächst oftmals im roten Bereich. „Eine Baustelle mit großräumiger Umleitung kann da schnell zu einem Fiasko werden“, sagt ein Manager. Inzwischen lässt Kampker die Akkus, allen Warnungen zum Trotz, lieber täglich laden.
Besonders ärgerlich: Bei kaltem Winterwetter reduziert sich die Reichweite um ein Drittel. Auch Sitzheizungen und Warmluftgebläse, mussten die Boten einsehen, fressen elektrischen Strom.
Doch die laufenden Verbesserungen, die Kampker in enger Abstimmung mit den Postzustellern vornimmt, beschleunigen die Marktreife. „Es ist nicht ausgeschlossen, den Streetscooter in Zukunft auch Handwerksbetrieben anzubieten“, sagt er. Für deren Zwecke nämlich sei er „grundsätzlich geeignet“.
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