Bevor hier die wildesten Spekulationen beginnen zu wuchern, versuche ich mich nun mal mit einer Erinnerung meiner Gefühle und Gedanken. Dass ich zeigen wollte was mir Lehrmeister Eberhard beigebracht hat und in der max. Range Gruppe starten wollte war eigentlich klar. Und da waren ja nur 3. Offiziell geht es natürlich nicht ums „Gewinnen“, aber tief im Innern ist da schon so ein Schweinehund der das will. Von meiner Familie bekam ich einen anderslautenden Auftrag: „Wir wollen Dich im Heute Journal sehen“ (wobei denen egal war ob als Erstankommender oder als Reichweitenmeister oder als Liegenbleiber). Ich ging von einem Duell zwischen Eberhard und mir aus. 60/40 für Eberhard. Nils habe ich zu dem Zeitpunkt nicht erstgenommen.
Ich hatte im Vorfeld mit Eberhard täglich Kontakt. Wir haben uns über vieles ausgetauscht aber nicht über die Strategie bei der Tour. Ich wußte, daß nicht derjenige gewinnen wird, der seinen Tempomat auf die geringste Geschwindigkeit einstellt. So einfach ist das nicht. Zumindest nicht beim 1. Drittel der Strecke, wo viel Verkehr, Ampeln, und Berge sind. Hier zählt vorausschauendes Fahren, Vermeiden von Rekuperation (Bremsen sowieso). Eberhard schätze ich da minimal besser ein als mich selbst. Aber man muß da auch hoch konzentriert sein um das umsetzen zu können. Hier sah ich meinen Vorteil, als Eberhard vermeldete, daß er NICHT übernachtet sondern morgens anreist. Als ich am Vorabend rechzeitig zu Bett ging sah ich in Glympse, daß Eberhard schon los gefahren war. Also Sleep&Charge. Ich schlief siegessicher und ruhig ein, ich ging davon aus daß Eberhard nach dieser Fahrt nicht die nötige Konzentration für das 1. Drittel der Strecke hat.
Als ich ihn am Morgen traf scherzte ich und schlug ihm vor, daß er sich doch erst mal ein paar Stündchen hinlege möge um dann später in einer anderen Gruppe zu starten. Dann kam der Schock. Er sagte, daß er genau dies plane und präsentierte mir einen Amperafahrer, der sein Model S anfänglich steuern werde. In mir kam Panik auf. Denn ich weiß, was Amperafahrer diesbezüglich können! Dieser war im Gegensatz zu mir noch in Übung. Seit ich hier in jede Himmelrichtung in 100 km einen Supercharger habe, ist mir diese Übung total abhanden gekommen. Ich schätzte nun die Situation 45/55 zu meinen Ungunsten ein. Nils war auch da. Ich nahm in noch immer nicht ernst. Ich sah ihn an und dachte mir „Junge mach bitte keinen Unsinn und dreh rechtzeitig um und blamier uns nicht“. Dann unterhielt ich mich mit Klaus, einem weiteren Amperafahrer, der zu diesem Zeitpunkt noch in der 120er Klasse starten wollte. Im Laufe des Gespräches fasste dieser den Entschluss, nun auch in der max. Range Gruppe mitfahren zu wollen. Mir lief es erneut eiskalt über den Rücken. Noch ein geübter Amperafahrer! Ich reduzierte meine Schätzung auch 30/70 zu meinen Ungunsten. Die 500 zu schaffen war ich mir allerdings sehr sicher.
Ich hatte im Hotel geladen und nicht nochmal bei Roland nachgeladen. Der Stadtverkehr und die Rangiererei vor dem Start haben Energie gekostet und wir waren längst auf der Autobahn als ich immer noch mehr als 200 Wh Verbrauch seit letzter Ladung hatte. Ich beschloss, also erstmal nicht mit 89 zu fahren sondern erst mal 80 um den Verbrauch auf 140 Wh zu drücken. Das gelang dann doch recht flott als es flach wurde und der Regen vorbei war. Klaus war plötzlich vom Glympse verschwunden und ich ging davon aus, daß er es sich anders überlegt hatte und umgedreht ist. Diese Meinung hatte ich bis zu Schluß. Ich ging also die ganze Zeit davon aus, daß wir nur zu dritt unterwegs sind. Besser gesagt zu zweit, den Nils habe ich hier immer noch nicht erst genommen. Nachdem wir an Emsbüren vorbei waren und (vermeintlich) alleine auf der Strecke waren, überlegte ich, wie ich nun Eberhard´s Stategie herausfinden könnte. Ich hatte NIE, ganz ehrlich NIE, das Ziel oder den Traum bis an die Nordsee zu fahren. Ich hatte mir Papenburg vorgenommen. Die zu klärende Frage war nur ob a) an der Ausfahrt wenden oder ob b) in die Stadt fahren und mit Eberhard was essen gehen. Ich rief also Eberhard an um herauszufinden, was er im Schilde führt. Nun kam der nächste Schock: Nix von beiden. Eberhard ließ verlauten „eine Ausfahrt weiter als Papenburg“. Darauf war ich überhaupt nicht vorbereitet. Ich hatte keine Ahnung wie weit das ist und wie und wo man da wenden kann oder ob man bis Holland fahren muß wenn man da in Bünde auf die falsche Autobahn gerät. Aber ich hatte ja Eberhard vor mir und dachte mit „Den holste Dir jetzt auf dem Schirm in Glympse und dann fährst Du einfach auch dahin“. An Nils dachte ich immer noch nicht. Ich bin gefahren und habe Eberhard auf Glympse beobachtet wo er gewendet hat. Ich wollte ausschliessen, daß er heimlich weiterfährt und habe mich erst mal rückversichert, daß er das nicht tut. Enttäuscht war ich dann erst mal, daß er am Wendepunkt nicht auf mich gewartet hatte und daß mit gemeinsamen ruhigen Mittagessen es wohl nix wird. Ich dachte, nun gut, vielleicht hat er von seiner Familie den gleichen Auftrag bekommen und will auch ins Fernsehen. Nun war guter Rat teuer. Ihn noch zu überholen und vor ihm zurück zu sein, schien mir unmöglich. Dann habe ich mal die Entfernung abcheckt, Windrichtungen, Höhenmeter und Wetterbericht gecheckt, so wie ich es von Eberhard gelernt hatte. Ich kam zum Schluss, daß ich noch ein paar Kilometer weiter fahren könnte. Das musste aber sorgsam durchdacht werden. Wird Eberhard es psychich verkraften, daß sein Lehrling mit 63.000 km auf dem Akku weiter fährt als er mit einem niegelnagelneuen Akku? Der Ärger daß er nicht gewartet hatte machte mir die die Entscheidung leicht: Ich würde es ihm antun. Also beschloss ich, noch eine Ausfahrt weiter zu fahren als er. Er war mir inzwischen auch schon entgegengekommen und ich wägte mich alleine da oben. Ich bekam sogar Angst. AMS und Herr Bloch wußten ja dank Glympse wo ich bin … Von Bünde bis Nordsee sah gar nicht soooo weit aus und erst jetzt (ehrlich) kam der Gedanke, ein Foto mit See im Hintergrund zu machen. Ich habe als Rhöner keinerlei Flachlanderfahrung. Ich ging davon aus, daß das Meer immer tiefer liegt als die Strasse und die Ortschaften. Ich war so naiv zu glauben, daß man von der Autobahnausfahrt möglicherweise das Meer sehen könne und ich da nur einen geeigneten Platz suchen müsse fürs Foto. So fuhr ich also in Bünde von der Autobahn ab um das Meer zu suchen. Aber da war nix. Stattdessen stand ein schwarzes Model S am Wegesrand. Die AMS getarnt im Model S schoss es mir durch den Kopf. Ich fuhr langsam vorbei und erkannte Nils. Nils? Ja, Nils. Keine Ahnung wo der plötzlich herkam, aber er stand da. Ich dachte, na gut wenn er da steht, wird er da jetzt wohl umkehren und fuhr weiter. Ohne Ahnung wo es zum Meer geht. Model S hatte keinen Empfang und ich sah keine Karte. Mein Handy hatte sich ins holländische Netz eingebucht und wollte mir einen DayPass verkaufen.
Ich wollte erst einen Einheimischen fragen wo es denn hier zum Meer geht. Aber was hätte der von mir gedacht? Also habe ich im Handy im Locus die offline Map aufgerufen und einen Plan zum Meer ersonnen. Als die Strasse aufhörte und Locus Wasser anzeigte, sah man aber kein Meer sondern nur einen riesigen Erdwall. Plötzlich tauchte Nils wieder auf. Er war mir also gefolgt und schien genauso erschrocken wie ich und den gleichen Plan im Kopf zu haben: „Egoistischen Siegeswillen zurückstecken und stattdessen im Teamwork das Meer suchen, ein Foto schießen und gemeinsam ins Ziel einfahren“. Dies war die größte Herausforderung der ganzen Tour. Ich erinnerte mich wieder, mal gehört zu haben, daß hier ja sogenannte Deiche gibt und daß man hinter dem Deich das Meer möglicherweise gar nicht sieht. Wie lange das dauert und wie lange man wohl im Ziel auf uns warten müsse, war uns beiden da ziemlich egal. Wir stiegen auf den Erdwall und peilten die Lage. Statt Wasser sahen wir aber nur einen weiteren, langen Erdwall. Vorsorglich machten wir schon mal die Wendfotos. Ohne Wasser Uns gelang es dann, den ersten Erdwall zu umfahren und kamen am zweiten an. Das mußte der finale Deich sein, denn da waren Schafe und ein Zaun. Wir bestiegen diesen und da war es dann wirklich. Das Meer. Also los, Foto von Auto und Meer machen. Aber wie mit dem Deich dazwischen ??? Auf dem Deich war ein Weg und Nils fand auch ein Tor, aber das war verschlossen. „Hast Du nen Bolzenschneider mit?“ Fragte Nils. Nein, hatte ich nicht. Ich machte also ein Foto vom Meer und eins von den Auto und lud es hoch. Tachy´s Antwort mit der Lösung kam zu spät. Nils hatte dann schon Panoramafotos gemacht. Wir genossen die Ruhe, den Wind, die Aussicht und was da wohl in Hilden zu dem Zeitpunkt los sei, war uns ziemlich egal. Als es ans Losfahren ging, gestand mir Nils, daß er an einem Autobahnkreuz einmal falsch abgebogen war, was ihn ein paar Kilometer gekostet habe. Folgerung: Wir werden also gemeinsam ankommen aber Nils wird x km mehr auf dem Tacho haben. Nein, so hatte ich mir Teamwork nicht vorgestellt. Ich ließ Nils losfahren, in dem Glauben, daß ich ihm hinterfahren würde. Ich wollte aber noch ein Stück weiter nach Norden fahren, was ich auch probierte. Ging aber nicht, denn das Land war hier irgendwie zu Ende. Also fuhr ich auch los. Nils hatte mir was von seiner Restreichweite erzählt und ich machte mir Sorgen ob er es überhaupt zurück schaffen würde. Ganz penibel beobachtete ich in Glympse seine Geschwindigkeit um zu checken ober er an einem LKW oder Bus klebt und es damit schaffen könnte. Aber es war Samstag und wir waren am Ende der Welt. Da waren keine Busse. Und auch keine LKW. Nils fuhr exakt 80. Also nix Windschatten. LKW ist 89, Bus ist 100. So fuhr ich die ganze Zeit mit x km weniger auf dem since last charge Zähler ein paar kilometer hinter ihm hier. Sein Tempo ließ vermuten, daß er es sich genau ausgerechnet hatte und in der Reserve ins Ziel einfahren würde. Ich hatte ja noch genug im Akku und zog das Tempo an und schloss bis kurz vor dem Ziel zu ihm auf. Genau an der Ausfahrt Hilden überholte ich ihn. Ich wollte eine Ausfahrt weiter fahren und dann dort wenden. Solingen. Als ich ankam, ein Schreck. Ausfahrt gesperrt, also weiterfahren. Ich hatte ja noch Strom. Das Gefühl beschlich mich, daß die Presse nicht ewig warten würde und spätestens nachdem Nils da ist, wohl einpacken werde. So fuhr ich eine große Runde und schliesslich mit 555 km in Hilden ab. 13 km Rest. 6 kWh Reserve. Ich hielt an und rechnete. 600 km sind machbar dachte ich. Aber nur, wenn ich sicher laden kann. Bis ich die gemacht habe, sind alle weg fürchtete ich. Roland auch. Damit kein Strom. Die Drehstromkiste in Hilden geht auch nicht. Panik. In dem Moment fragte Eberhard an wo ich bliebe. Zwischen den Worten las ich heraus, daß deren Geduld am Ende ist und die nicht mehr lange auf mich warten werden. Was helfen dann 600km wenn kein Notierer mehr da ist und ich nicht laden kann? So fuhr ich mit gemischten Gefühlen zögernd in Richtung Ziel. Der herzliche Empfang hatte schnell den spontanen 600 km Gedanken verdrängt und die Freude war groß. Den Rest kennt ihr erst mal …
Sonntag habe ich dann erst mal einen auf tubist gemacht und hatte keine Zeit und Möglichkeit, die Eindrücke in Ruhe zu verarbeiten. Heute morgen hatte ich in Oberhausen zu tun. Ich bin an der gesperrten Ausfahrt Solingen vorbeigefahren, Richtung Ladepark Kreuz Hilden, die gleiche Autobahn hoch wie am Samstag, die Sonne schien, die Straßen waren trocken, der Verkehr war langsam genug, es gabe jede Menge windschattenspende LKW und da war er wieder, der Gedanke an die 600 km. Wenn da nicht die Arbeit in Oberhausen gerufen hätte …