Früher starteten auf der Piste des Schweizer Militärflughafens Dübendorf nordöstlich von Zürich mit monströsem Getöse Kampfjets vom Typ F/A-18 Hornet. Ende Juni raste erneut ein Geschoss über die Startbahn, allerdings mit dem leise sirrenden Sound eines Zahnarztbohrers: Der Elektrorennwagen Grimsel. Von seiner Optik - der Wagen sieht aus, wie Zeichner von Pixar einen Formel-1-Wagen entwerfen würden - darf man sich nicht täuschen lassen, die Fuhre hat es in sich: Von null auf hundert beschleunigt sie in 1,513 Sekunden. Am Steuer: Nina Fuchs, Studentin der Elektrotechnik.
Der Grimsel ist die vorerst krasseste Eskalationsstufe in einem akademischen Wettstreit mit ziemlich weltlichen Auswirkungen. Der Wagen ist eine Eigenentwicklung des Akademischen Motorsportvereins Zürich (AMZ), einem Team aus Studenten der ETH Zürich und der Uni Luzern. Und es ist nicht die erste Schöpfung der geschwindigkeitsorientierten Studenten.
Schon einmal hatte das Team AMZ eine Beschleunigungs-Bestmarke für Elektroautos aufgestellt. Das war im Herbst 2014, ebenfalls mit dem Grimsel. Die Bestzeit damals betrug 1,758 Sekunden. Im Juli 2015 jedoch unterbot das Green Team der Universität Stuttgart den Rekord um sechs Tausendstel. „Das hat uns natürlich gewurmt“, sagt Daniel Hentzen, der Teamchef der Schweizer Studententruppe.
Leichter, stärker, schneller
Also wurde wieder getüftelt und getestet. Durch Feinarbeit an der Kohlefaserkonstruktion wurde das Auto noch leichter, ebenso wurde der Hochvolt-Akku modifiziert. Die Reifenwahl fiel auf Pneus vom US-amerikanischen Dragracing-Spezialisten Hoosier. „Bei so einem Rekord kommt es ja vor allem auf eine optimale Traktion an“, sagt Hentzen.
Der lediglich 168 Kilogramm schwere Renner verfügt über vier vom Team entwickelte Radnaben-Synchronmotoren, die je 37 kW leisten und je 3,4 Kilogramm wiegen. Das Drehmoment des E-Maschinen-Quartetts beträgt 1700 Nm. Für Fahrerin Fuchs bedeutete die explosive Beschleunigung des Autos eine Belastung mit 2 g, sie wurde also mit dem doppelten ihres Körpergewichts in den Schalensitz gepresst.
Elektroauto auf Rekordfahrt
Mit der neuen Rekordzeit wähnt sich das Schweizer Studententeam nun nahe am physikalischen Limit für ein Auto aus der „Formula Student“. Denn eigentlich ist die Jagd nach dem Beschleunigungsrekord ein Nebenschauplatz, das Hauptaugenmerk des Teams AMZ aus Zürich, des Green Teams aus Stuttgart sowie etlicher weiterer studentischer Racing-Verbünde ist die 1981 ursprünglich in den USA gegründete „Formula Student“, die seit 1998 auch in Europa ausgetragen wird und bei der inzwischen rund 600 Teams an den Start gehen.
Im Studium auf die Rennstrecke
Die „Formula Student“ ist ein internationaler Konstruktionswettbewerb, bei dem Studententeams aus aller Welt jedes Jahr im Sommer mit ihren selbst entwickelten Boliden gegeneinander antreten. Als praktische Ergänzung zum Ingenieurstudium werden Erfahrungen in der Konstruktion und Fertigung eines Automobils gesammelt. Jedes Jahr bilden sich neue Teams. Am Ende kommt es zum Showdown auf der Rennstrecke.
Es geht allerdings nicht nur um das schnellste Auto und den waghalsigsten Fahrer, sondern es geht um das beste Gesamtpaket. Gefragt sind ausgereifte Konstruktionen, eine gute Rennperformance, stabile Finanzplanung und schlagkräftige Verkaufsargumente. Ausgetragen wird der Wettbewerb in Deutschland, in den USA, Großbritannien, Japan, Brasilien, Italien und Österreich. Experten aus der Motorsport, Automobil- und Zuliefererindustrie fungieren als Jury - außerdem engagieren sich etliche Firmen als Sponsoren.
Die AMZ-Truppe aus Zürich beispielsweise wird von BMW unterstützt. Die Schweizer sind seit 2006 in der studentischen Rennserie am Start, zunächst fuhren sie in der Verbrennerklasse mit, seit 2010 setzen sie auf Elektroantrieb. Für die Saison 2014 konstruierten sie den Elektro-Rennwagen Grimsel und gewannen drei von vier Rennen (Hockenheim, Silverstone, Spielberg, Barcelona).
Ein neuer Rekord ist in Arbeit
Jedes Jahr wird ein neuer Rennwagen gebaut, stets wird er nach einem Schweizer Pass benannt. Das Modell Grimsel jedoch bot sich für weitere Tempo-Tüfteleien an - so kam es zum Beschleunigungs-Wettbewerb. „Die Rekordversuche sind natürlich auch eine Marketing- und Prestigesache“, erklärt Hentzen. „Darum kümmern sich dann auch nicht die aktuellen Teammitglieder, sondern ältere aus den früheren Saisons.“
Jetzt also ist der Rekord wieder in der Schweiz. Die Konkurrenz aus Schwaben hat das natürlich längst mitgekriegt. „Glückwunsch an das Team aus Zürich“, sagt Benedikt Bauersachs vom Green Team der Uni Stuttgart. „Die Messlatte liegt jetzt natürlich sehr hoch, doch unsere Simulationen haben ergeben, dass der Grenzwert zwischen 1,3 und 1,4 Sekunden von 0 auf 100 km/h liegt. Es ist also noch Spielraum.“ Klingt so, als bereiteten sie in Stuttgart schon alles für eine Rekord-Revanche vor. Bauersachs: „Man wird sicher noch was von uns hören“.