Heute habe ich von der neuen 2018er Ausgabe der Auto Umwelt Liste des Verkehrsclub Schweiz (VCS) erfahren. Mit Spannung habe ich das Dokument herunter geladen, hat es doch jeweils eine nette Übersicht fast aller am Schweizer Markt erhältlichen Fahrzeuge mit drin. Leider wurden letztes Jahr Elektroautos noch separat aufgeführt und ein direkter Vergleich war somit, anders als auf der Energieetikette, nicht möglich.
Ich sollte enttäuscht werden.
Dabei beginnt es doch so vielversprechend: Lucid Air, Sono Sion, Dieselskandal, NEFZ vs. Realverbrauch, Well-to-Wheel mit kanadischen Ölsanden (= NEFZ x 3!), ein Interview mit Anton Gunzinger von der ETH „Der Verbrennungsmotor hat keine Zukunft“, ein Verweis auf die geniale Ökostromvignette …
Blättert man bis auf Seite 46/47, so Listet der VCS sämtliche aktuell erhältlichen Elektroautos: vom Citroen C-Zero bis zum Tesla Model X 100D. Dafür wurde eigens ein Ampelsystem eingeführt, welches die (meiner Meinung nach löblichen) Aspekte
CO2,
Batterieherstellung,
und Lärm
bewertet. Die Umsetzung ist jedoch alles andere als gelungen! Für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor wird das bewährte (aber nicht mit dem E-Auto vergleichbare) Bewertungsystem weitergeführt:
Beispielfahrzeug Elektro: Tesla Model S 75D
Stromverbrauch NEFZ in kWh/100 km: 18.6
Stromverbrauch real in kWh/100 km: 31.6
max. Reichweite in km (NEFZ): 450
CO2 in g/km: 2.8 (wird immer für Ökostrom angegeben)
Resultat:
Beispielfahrzeug Verbrenner: VW Golf/Variant 1.5 TSI BlueMotion DSG
Verbrauch in l/100 km: 4.8
CO2 in g/km: 110
Resultat:
Was der Laie wohl nun denken mag? Diese neuen Elektroautos, so sauber sind die gar nicht, da hatte mein Onkel Herbert wohl doch recht. Oder was?
Konkret habe ich folgende Kritikpunkte, die ich bald dem VCS auch zustellen werde:
-
Dem Bundesamt für Energie BFE ist schon vor Jahren gelungen, was der VCS bis heute nicht auf die Reihe kriegt: Die Vergleichbarkeit über sämtliche Treibstoffarten / Antriebskonzepte hinweg. Ein Tesla Model S erscheint so mit 2 Liter „Benzinäquivalent“ im Verkaufsprospekt, das versteht jeder.
-
Wie wird der reale Stromverbrauch beim Elektroauto errechnet? Ist das der neue WLTP oder was eigenes? Dazu findet sich nichts in der Broschüre. 31.6 kWh beim Model S 75D sind 70% mehr ggü. NEFZ! Ladeverluste, Heizung, Realverbrauch in Ordnung, aber dieser Extremwert stimmt nie und nimmer für ein durchschnittliches Nutzungsszenario. (Das Tesla Model S hat Ladeverluste zwischen 5 und 10% ab Steckdose. Und es verbraucht im Winter mit Heizung bei sportlicher Fahrweise nicht mehr als 25 kWh/100km. Macht also 27.5 kWh. – Wie zur Hölle kommt der VCS auf 32 kWh?)
-
Wieso fehlt allen Verbrennern ein „Realverbrauch“ wo dieser doch beim Elektroauto angegeben wird? Der ICCT gibt wissenschaftlich breit abgestützt einen Mehrverbrauch von 42% an. Also 6.8 statt 4.8 Liter Benzin für den Golf.
-
Wieso haben Verbrenner ausschliesslich die offiziellen CO2-Angaben nach NEFZ, wo doch mittlerweile jedermann weiss, dass diese nicht stimmen? Selber Grund wie oben genannt: Macht 156g CO2/km statt dem Phantasiewert 110. Mindestens den neuen WLTP hätte man hier angeben müssen.
-
Wieso werden beim Elektroauto Emissionen aus der Treibstoffbereitstellung berücksichtigt (Well-to-Wheel), beim Auto mit Verbrennungsmotor jedoch nicht (Tank-to-Wheel)? Entsteht Benzin aus Luft & Liebe oder wie genau stellt man das her? (Tipp: Es sind rund 20% der Emissionen zusätzlich zur Verbrennung. Der Golf landet also bei realen 156g + 31g = 187g)
-
Nochmal zum Mitschreiben: Wenn beim Tesla 32 kWh Verbrauch stehen, dann müssen beim Golf nicht 4.8 Liter / 110 g CO2, sondern 6.8 Liter / 156g CO2 und zusätzlich 31 g aus der Treibstoffbereitstellung erwähnt sein. Alles andere wäre manipulativ.
-
Das BFE macht es mit der Energieetikette vor: Da sind für JEDES Fahrzeug sowohl die Emissionen im Betrieb, als auch die Emissionen aus der „Treibstoff- und/oder der Strombereitstellung“ mit drauf. Zwar auch nach NEFZ (immerhin gut vergleichbar), aber das wäre mit einem Faktor einfach zu korrigieren. So geht ein fairer (!) Vergleich.
-
Was soll das Interview mit Patrik Soltic auf Seite 43? Es steht in krassem Widerspruch zu den Resultaten in den Tabellen. Soltic sagt: „[…] der Umstieg auf Fahrzeuge, die mit erneuerbarer Energie betrieben werden. Das ist der effektivste Hebel zu einer CO2-Minderung. Ob das nun mit Elektro-, Wasserstoff- oder Gasfahrzeugen geschieht, ist für das Energiesystem in vielen Fällen insgesamt eher zweitrangig. […] Dies spricht aktuell für Elektro-, Gas- und Hybridfahrzeuge.“ – In der Tabelle hat das Elektroauto mit 2.8 Gramm CO2/km die Farben rot / rot / orange. Das Auto mit Verbrennungsmotor kriegt vier grüne Sterne bei einem Vergleichswert von 187g CO2/km? WTF?!
-
Wieso wird der eGolf mit seiner offiziellen NEFZ-Reichweite von 300km angegeben, der Ampera-e ebenfalls korrekt mit 520km, genauso die Renault Zoé mit 400km, bei Tesla liegen die Angaben aber knapp 20% unter der Herstellerangabe? (Model S 100D, Liste: 512km, NEFZ: 632km)
-
In einer kleinen Randnotiz steht, dass beim Elektroauto mit ausschliesslich erneuerbarer Energie gerechnet wird. Das entspricht nicht der Realität. Das E-Auto ist nur so gut, wenn sich der Konsument aktiv für saubere Energie entscheidet. (Anders als beim Benzin hat er beim Strom durchaus eine Wahl. Oder gibt es mittlerweile konfliktfreies, CO2-neutrales Benzin bei Shell? Wäre mir neu.) Andernfalls (CH-Strommix) wird ein sehr grosses Potential verschenkt, je nach Energielieferant liegt der Faktor nämlich bei etwa dem 10-fachen der vom VCS im Betrieb angegebenen CO2-Emissionen (20 statt 2 Gramm). Und das Problem der Endlager für atomaren Müll löst sich dadurch bestimmt auch nicht.
-
Wieso muss eine Batterie mit mehr als 50 kWh Kapazität schlecht sein? Wenn schon müsste man hier stattdessen kg Material nehmen und die Energiedichte nicht aussen vor lassen. Nur so am Rand: selbst ein 100 kWh Akku erzeugt in seiner Produktion konservativ gerechnet (150’000km Lebensdauer, 100kg CO2/kWh) gerade mal 66g CO2/km (Quelle ICCT 2018 u.a.): Das ist immernoch 3x weniger als der VW Golf oben in der Realität verursacht! Hinzu kommt, dass beim Elektroauto mit grossem Akku, anders als das Auto mit Verbrennungsmotor, das bis zum Ende seiner Lebenszeit 10’000 Liter Treibstoff unwiederbringlich VERBRAUCHT (wie der Golf), die aufgewendeten Ressourcen zu über 95% wieder dem Recyclingkreislauf zugeführt werden können, zum Beispiel bei Umicore in Belgien oder bei INOBAT in der Schweiz, also nur für 10-20 Jahre GEBRAUCHT werden.
-
Plug-In-Benziner mit Euro 6 kriegen automatisch die Farbe grün bei den Schadstoffen. Auf dem Prüfstand. Bei 20°C. Ohne Partikelfilter. – Den Abgasskandal und die „flexible“ Einhaltung der Normen hat der VCS wohl nicht mitbekommen, was?
Gerne würde ich für einen Leserbrief weitere Argumente sammeln. Was denkt ihr?